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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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(das sind die gefährlichsten überhaupt) auf. Und weißt Du, wo das war? Da kommst Du nie drauf. Das war nämlich dort, wo diese Tiger fast gratis zu haben sind, in der Sowjetunion. Die Devantiers haben vor dem Zweiten Weltkrieg oft dort gastiert. Und nicht nur sie, viele andere auch. Weil die Sowjets so zirkusbegeistert sind. Für Zirkus tun die alles. Die bezahlen auch alles. Nimm nur Rastelli, sogar der ist da herumgetourt, und was meinst Du, wie lange? Geschlagene zehn Jahre! Sogar während und nach der Oktoberrevolution ist er im Lande geblieben.
    Wie ich abschweife, Trinchen. Deshalb jetzt schnell zurück zu R. D.: 1945 gehörte der Zirkus dann schon ihm. Nicolas und Therese saßen daheim in Montreux. Er gastierte, als die Sowjets heranmarschierten, irgendwo in Mecklenburg, also nicht weit von hier. Und es fiel ihm gar nicht ein zu flüchten. Er hatte ja die besten Erfahrungen! Und die wurden bestätigt. Die Offiziere haben dafür gesorgt, daß er Fleisch für seine Tiere kriegte und was zu essen für sich und seine Leute. Und sie sind dauernd in seine Vorstellungen gerannt. Eine Zeitlang hat er daher die Programmhefte zweisprachig gestaltet – wofür er, wie man hört, von nicht wenigen Deutschen scheel angesehen worden ist. Die dachten wohl, er will sich einschleimen. Hat er aber nicht gewollt. Devantier schleimt bei niemandem, dafür verbürge ich mich. Paß auf, ich erzähl Dir eine Geschichte dazu: In der Loge, ganz vorn, sitzen ja oft Leute, mit denen er Tauschhandel betreibt, zum Beispiel kriegt er für die Raubtiere immer Freibankfleisch aus den Großfleischereien, und die Großfleischereien kriegen dafür Freikarten. Außerdem sitzen aber auch Parteifunktionäre dort. Er weiß natürlich genau, wo die sind, es sind immer dieselben Plätze. Und nun kommt der Große Leonelli, das ist sein Raubtierdompteurnachfolger, und läßt einen Löwen auf ein Pferd springen und sich übern Käfigrand beugen und das Maul aufreißen und brüllen, genau an der bewußten Stelle, direkt über den Funktionären. Natürlich schrecken die fürchterlich zusammen. Die schlottern regelrecht. Da ruft Devantier über sein Mikro: »Keine Angst, meine Herren, der beißt Sie nicht, der ist verwöhnt!« Und das ganze Publikum lacht. Wie ich es einschätze, ist das aber nicht nur ein Spielchen. Es ist auch Rache, Trinchen, und zwar eine ziemlich grimmige. Du glaubst es nicht, was ihm von der Partei schon für Steine in den Weg gelegt worden sind. Eigentlich dürfen er und ein paar andere seiner Art nur noch auftreten, weil der Staatszirkus allein nicht den ganzen Bedarf der Bevölkerung abdecken kann. Man braucht ihn, einerseits. Andererseits schikaniert man ihn, wo es nur geht. Das Ungeheuerlichste in dieser Hinsicht ist vor elf oder zwölf Jahren passiert. Devantier hat in der Tschechoslowakei gastiert und dort für alle Fahrzeuge neue Reifen besorgt, denn bei uns gab’s damals keine. Und stell Dir vor, daraufhin kriegt er ein Verfahren wegen illegaler Einfuhr von Waren. Er wandert in den Knast, und seine Frau, die muß nun die Raubtiere versorgen. Mach das mal, wenn Du noch nie mit den Viechern zu tun hattest! Sie schafft es trotzdem – aber als die Aufpasser sehen, daß sie es schafft und daß die Tiere weder verrückt spielen noch draufgehen, verfügen sie deren Tötung. Die werden alle erschossen, die wunderbar dressierten, teuren Tiere! Das heißt, Devantier muß, als er wieder frei ist, völlig von vorne anfangen. Ja, und seitdem hat er eine dermaßene Wut auf die Partei, Trinchen, so was habe ich noch nicht erlebt. Wenn wir unter uns sind, fängt er wie aus heiterem Himmel an zu schreien: diese roten Verbrecher, diese Kommunistenschweine! Es kann einem richtiggehend angst werden. Und zugleich ist er vollkommen zahm und sogar liebevoll den Sowjets gegenüber. Wir haben Akrobaten aus Jaroslawl hier, denen tut er, im Gegensatz zu den deutschen Mitarbeitern, nie etwas. Nun kannst Du sagen, das ist doch normal, es sind Zirkusleute, keine Apparatschiks, er weiß eben zu unterscheiden. Aber hör zu, er verteidigt auch die Apparatschiks! Er sagt, die sind anders als unsere! Dabei werden doch unsere von denen geschult, oder? Unser Sozialismus ist doch wohl deren Sozialismus nachgebaut, oder nicht? Meiner Meinung nach verschließt Devantier, was das betrifft, völlig die Augen, und genau diesen Widerspruch habe ich am Anfang gemeint – aber weißt Du, welcher Gedanke mir jetzt, mitten im Schreiben, gekommen ist? Daß alles an

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