Brüder und Schwestern
vor lauter Applaus vergessen, was du eigentlich wolltest, und erkennst nichtmal mehr, wie genügsam du geworden bist. Deine ganze Idee ist weg. Du machst nur noch Tralala und Hopsasa. Aber ich kann mich doch nicht so treiben lassen. Ich kann doch nicht etwas fortsetzen, von dem ich im Grunde meines Herzens weiß, es führt mich nicht weiter. Ich muß doch dann versuchen, das Richtige zu finden. Ja, wenn der Mensch schon erkannt hat, daß er auf der falschen Fährte ist, soll er sie verlassen und soll von neuem zu suchen beginnen, egal, ob’s die Leute um ihn herum verstehen oder nicht.«
Matti hatte während seiner Rede immer wieder zu Erik geschaut, und dieser hatte, je länger sie währte, immer tiefer in sein Glas geblickt.
Als er aufsah, bemerkte er, daß Britta Tränen in den Augen hatte. Dazu lächelte sie, aber nicht traurig, sondern fast selig. Sie erhob sogar feierlich ihr Glas und setzte ihrerseits zu einer kleinen Rede an: »Vorhin, ihr Lieben, habt ihr in Zweifel gezogen, daß es mir gutgeht. Natürlich war da diese Sache mit Marty. Aber es war nur ein Zwischenfall. Und der ist ja nun überstanden. Und jetzt bin ich einfach nur froh, ja, glücklich und zufrieden bin ich. Weil ihr beide endlich wieder zusammengekommen seid. Weil ihr wieder miteinander redet. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ich mir das gewünscht habe: daß ihr euch nicht länger aus dem Weg geht. Ich muß schon gestehen, ich hatte keine Ahnung, wie sich das alles ergeben sollte, nicht die geringste Ahnung, aber daß es sich ergeben wird, hat mir mein Bauch gesagt. Laßt uns also anstoßen auf …«
»Auf deinen Bauch«, warf Erik ein, und Britta lachte, und alle stießen an, und auch Matti war froh, denn wenn er ehrlich war, dann hatte es ihn doch ziemlich angestrengt, seinen Boykott so lange durchzuhalten. Aber zugleich fand er die prächtige Laune seines Bruders und überhaupt alles, was Erik gerade sagte, unangemessen und falsch. Er spürte, daß sich der Abstand zwischen ihnen überhaupt nicht verringert hatte, und Erik erschien ihm in diesem Augenblick sogar fremder als je zuvor.
*
Erik fühlte sich auch noch am nächsten Morgen ausgesprochen beschwingt. Seine vollen Lippen wölbten sich ruhig und selbstsicher in die Welt hinein. Und strahlte die Welt nicht zurück? Die Sonne schien, das war ein Ereignis in diesem Sommer, das war ja beinahe eine Premiere, was sie hier jetzt veranstaltete.
Er lief runter zum Strand. Dort wurde schon Volleyball gespielt. Alle hatten sich aller Kleider entledigt, der so lange vermißten Sonne wegen und überhaupt. Er hielt Ausschau nach seinem Kumpel Weißfinger, einem Journalistikstudenten, den er im Spanischkurs kennengelernt hatte; auf dem Spielfeld vermutete er ihn, denn Weißfinger war Vereinsvolleyballer und trainierte jeden Donnerstagabend in irgendeinem Leipziger Vorort, hombre, hatte er in seiner Lässigkeit am Anfang ihrer Bekanntschaft einmal verlauten lassen, donnerstags bin ich immer beschäftigt, sozusagen geblockt bin ich einmal die Woche, falls du verstehst.
Und er mußte blinzeln im Sonnenglast, Erik, ein ungewohntes Flimmern und Sengen lag in der Luft, er konnte niemanden richtig erkennen, die Gestalten dellten und wellten sich vor seinen Augen wie große Fische im Aquarium. Langsam nur schälte sich etwas heraus, langsam, ein paar Brüste waren das, wenn nicht alles täuschte, und diese Brüste ragten so ungewöhnlich nach oben, als wären sie zwei Späne, und die Sonne wäre ein Magnet.
Das Wasser floß nun aus dem Aquarium nach nirgendwohin, und das ganze Mädchen wurde sichtbar. Es hatte eine recht brave Pagenfrisur und ein etwas zu breites, wenngleich nicht ausladendes oder gar unförmiges Becken; womöglich wäre dieses Mädchen, hätte es was angehabt, Erik gar nicht aufgefallen. So aber postierte er sich nahe am Spielfeldrand und verfolgte noch ein bißchen, wie es spielte. Sprang es hoch, schlugen für den Bruchteil einer Sekunde die Brüste an die vorgestreckten Arme. Und es sprang oft hoch und gern, es war voller Eifer bei der Sache. Manchmal kam es in seiner Kampfeslust auch zu nahe ans Netz, und wenn es dann noch Pech hatte, verfingen sich die Brüste darin und zogen kurz einmal das Netz herunter, und geschah das, zeigte sich immer gleich einer der Jungs von gegenüber erbötig, das Mädchen zu befreien, gut beistehen tat man dem, weil das Spiel schnell weitergehen sollte, jawohl, darum.
Erik beobachtete alles, und was soll man sagen: Wie die Jungs hier
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