Brüder und Schwestern
eben nicht die geringste Ahnung. Ich war wirklich glücklich, das könnt ihr mir glauben.« Und sie erzählte ihnen von dem bedauernswerten Marty und ihrem Verhältnis zu ihm und von den sich überschlagenden Ereignissen kurz vor der Abendvorstellung.
»Dein Auftritt war also gar nicht geplant?« fragte Erik. Lachend schlug er dazu mit der flachen Hand auf den Tisch, so guter Laune war er offenbar – trotz der Attacke, die Britta gerade überstanden hatte, oder gerade, weil sie sie überstanden hatte und ihm dabei großes, wenn nicht entscheidendes Verdienst zugekommen war. Matti hingegen wirkte ernst und kummervoll, wobei er so und nicht anders ja schon vor dem Angriff ausgeschaut hatte.
»Nichts war geplant«, bestätigte Britta. Erst jetzt fiel ihr ein, daß die Brüder hatten denken müssen, sie habe ihnen absichtlich nichts von ihrem Auftritt gesagt. Also bekräftigte sie: »Ich habe es selber erst eine Stunde vor Beginn erfahren.«
»Mein Gott«, rief Erik, »wir sind ja so dumm, Matti, wir sind ja so dumm. Wir hätten es wissen können. Erinnere dich, wie die Einlasserin zu dir gesagt hat, Britta sei abkommandiert worden. Abkommandiert, da hätt’s doch bei uns schon klingeln müssen.«
Matti verzog mißbilligend das Gesicht, und es blieb unklar, ob er sich darüber ärgerte, daß sie nicht selber darauf gekommen waren, oder ob ihn das allzu Vertrauliche störte, das in Eriks Worten lag.
»Wie geht es jetzt weiter mit dir?« fragte er Britta.
»Wie meinst du das?« fragte sie zurück
»Wirst du jetzt dauerhaft für diesen Marty auftreten? Bist du jetzt fest drin im Programm?«
»Bist du jetzt für immer eine richtige Zirkuskünstlerin?« setzte Erik vergnügt hinzu, und seine Miene verriet, daß er als Antwort ohne Zweifel ein »Ja« erwartete und daß er sowieso nur gefragt hatte, um Britta auf diese Weise zu loben.
Sie fuhr mit dem Zeigefinger über den Glasrand. »Ich weiß nicht, ich weiß gar nichts mehr …« Stockend und sich mehrmals verhaspelnd, erzählte sie von dem Kleid und den Haaren und ihren dunklen Ahnungen, die zuzulassen Marty sie gezwungen hatte. Sie schloß mit der verblüffenden Bemerkung, eigentlich sei sie überhaupt keine Jongleurin und werde wohl auch nie eine sein.
»Du bist eine großartige Jongleurin«, rief Erik, »das haben wir doch gesehen, nicht wahr, Matti?«
Matti schwieg, sei es, weil ihm abermals die Leutseligkeit seines Bruders unangenehm aufstieß, oder sei es, weil er über Brittas Jonglage nun doch etwas anderer Meinung war.
»Was habt ihr gesehen?« fragte Britta zurück, »was habt ihr gesehen?« Sie klang in diesem Moment eher angriffslustig als neugierig und stürzte hastig ein paar Schlucke Rotwein hinunter.
»Ein schönes Mädchen mit großer Ausstrahlung, das so gut wie keinen Fehler begangen hat«, sagte Erik.
»Da haben wir’s, da haben wir’s!« rief Britta.
»Was haben wir?« In Eriks Miene lag Unverständnis.
»Die Ausstrahlung hat’s gemacht – oder was man unter Ausstrahlung versteht, nicht? Ansonsten war da nichts. Gar nichts war da!«
Die Brüder schwiegen ob dieses Grimms, den sie von ihrer Schwester gar nicht kannten. Britta aber erklärte nun, sie werde morgen zu Devantier gehen, definitiv, sie wisse nur noch nicht, ob sie dann auf ein anderes Kleid und auf zusammengebundene Haare dringen oder ob sie verkünden werde, sie stünde fortan für die ganze Nummer überhaupt nicht mehr zur Verfügung.
»Du überlegst, dich schon wieder zurückzuziehen?« fragte Erik. »Das ist nicht dein Ernst. Du weißt ja gar nicht, ob du nicht doch richtig gut wirst. Du kannst es nicht ausschließen. Wieso solltest du nicht richtig gut werden? Du mußt unbedingt weitermachen … meinetwegen in einen Kartoffelsack gehüllt. Diese Chance, die kannst du ja wohl nicht einfach so sausenlassen.«
»Kann sie doch«, sagte Matti. Er wandte sich an Britta: »Du weißt sicher, daß es niemals reichen wird?«
Britta nickte betrübt.
»Dann mußt du raus aus der Nummer.«
»Aber selbst dann kann sie doch weitermachen, selbst dann«, wandte Erik ein. »Nicht jeder kann eben Spitze sein. Trotzdem kann er Applaus kriegen und anerkannt sein, erinnert euch an den Applaus, den es vorhin gehagelt hat.«
Matti machte eine wegwerfende Handbewegung. »Applaus, was besagt der schon. Wenn du selber unzufrieden bist, kann er doch nur wie Hohn wirken. Und auf Dauer – auf Dauer korrumpiert er. Weil er deine Unzufriedenheit überdeckt und übertönt. Am Ende hast du
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