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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Begrüßungsfloskeln. Eine kleine Pause trat ein, und Erik brummte: »Ich werde also bald die Messeauftritte im RGW-Raum begleiten …«
    Kutzmutz konkretisierte: »Der Kollege, der zur Zeit mit dieser Aufgabe betraut ist, wird in einem Dreivierteljahr in Rente gehen. So lange laufen Sie mit ihm mit, danach übernehmen Sie seine Funktion, das dürfte wunderbar passen vom Ablauf her. Sie sehen, Sie kommen uns wie gerufen.«
    Entweder verstellt er sich, dachte Erik, oder er hat doch keinen Wink bekommen und ist von Natur aus angenehm.
    Kutzmutz bot Erik auch an, ihm sein zukünftiges Büro zu zeigen, sie hatten sich gar nicht gesetzt, da waren sie schon wieder auf dem Flur. Kutzmutz öffnete eine Tür.
    Das erste, was Erik sah, war eine große steinerne Schale in der Mitte des Raumes, die geradezu überquoll vor vergilbten Zeitungen. Er schaute fragend zu dem Abteilungsleiter.
    »Ach«, lachte Kutzmutz, »dieses Ding. Ein altes Taufbecken ist das eigentlich.«
    Erik erinnerte sich an den Davidstern im Torbogen. »Von den Juden?«
    Richtig, das Haus hier sei früher Eigentum der Jüdischen Gemeinde Berlins gewesen. Dieser habe man, warum auch nicht, jetzt wieder gewisse Rechte eingeräumt, aber, so drückte Kutzmutz sich aus, sie bestehe ja »nur noch aus ein paar Hanseln«.
    Erik schob seine Finger zwischen die vergilbten Zeitungen und registrierte, daß es sich um die zentralen Organe der Partei, der Gewerkschaft und der Freien Deutschen Jugend handelte, doch einerlei, was das im einzelnen für Blätter waren, dieses Zimmer hier, dachte er, scheint ja lange nicht benutzt worden zu sein, nicht von den Juden und nicht von seinen künftigen Kollegen, es ist nichts anderes als eine Rumpelkammer, wirklich das Letzte.
    Er wolle und müsse auf die Rechte der früheren Eigentümer zurückkommen, erklärte Kutzmutz. Ab und an würden die Juden, das läge nunmal in ihrer Kultur begründet, jemanden taufen wollen. Die mit ihnen getroffene Regelung besage, sie hätten sich zu diesem Zwecke spätestens fünf Tage vor dem gewünschten Termin bei der »Weltwerbung« zu melden.
    »Und dann?«
    »Räumen wir das Büro, so daß wieder ein jüdisches Bad draus wird.«
    »Für den einen Tag?«
    Kutzmutz nickte, und Erik fragte, wo er dann hin solle mit seinen ganzen Materialien.
    »Da findet sich schon ein Plätzchen. Und wie gesagt, es passiert ja auch nicht so oft. Im vorigen Jahr zum Beispiel, da war gar nichts, wenn ich mich recht erinnere.«
    Die Auskunft beruhigte Erik, einerseits. Andererseits fühlte er sich nun erst recht abgeschoben. Dafür hätte er das doch nicht zu studieren brauchen. Dafür hätte er damals im Hochhaus auch nicht unterschreiben müssen. Jawohl, hatte er sich krummgelegt für nichts und wieder nichts.
    Am Abend schrieb er ein paar Zeilen an Britta, unter anderem formulierte er, »meine Träume haben sich nicht erfüllt«.
    Es sollte ihr gegenüber keinesfalls vorwurfsvoll klingen, seine Ernüchterung mußte einfach nur einmal heraus. Aber machte er seiner Schwester im stillen nicht doch Vorhaltungen? Wäre er denn jetzt auch in diesem Nebenbetrieb gelandet, wenn sie sich einst nicht so aufrührerisch und so unklug verhalten hätte? Eigentlich erwartete er schon etwas von ihr, darum hatte er ja ihr sein Herz ausgeschüttet und niemand anderem, er wartete darauf, daß sie etwas in der Art sagte wie: Tut mir schrecklich leid, mußt du nun büßen für meine Vorwitzigkeit, ach das ist so ungerecht.
    Scheinbar kam sie aber gar nicht auf die Idee. So wie’s aussah, erschloß sich ihr der Zusammenhang, der doch auf der Hand lag, überhaupt nicht, entschieden fröhlich las sich jedenfalls ihre Antwort, gekritzelt auf eine Ansichtskarte der Stadt Meißen: »Nicht schon vor dem Anfang Trübsal blasen, großer Bruder, dafür ist später immer noch Zeit. Wer weiß, was dir die Zukunft alles an Überraschendem und Schönem bringt. Ich wünsche es dir sehr und drücke dir ganz fest die Daumen. Dein Schwesterlein.«
    *
    Zeit verging. Erik heiratete Carla. Er trat auch der Partei bei, weil es ihm bald seltsam erschienen war, sich montagabends still und leise, fast schon heimlich von der Tucholskystraße nach Hause zu begeben, während an die hundert Mann in den holzgetäfelten Sitzungssaal strömten. Was schließlich die Messen betraf, so reiste er regelmäßig nach Moskau, Plowdiw und Bratislava, es war alles in allem kein sonderlich aufregendes Leben, das er führte, doch es war bei weitem auch keines, das ihm

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