Brüder und Schwestern
kurzen Handbewegung wies der Geäderte auf den vorm Tisch stehenden Stuhl. Er warf einen Blick auf Erik und schaute dann kurz in die vor ihm liegenden Akte, die ein Paßbild enthielt, wie Erik während des Hinsetzens bemerkte.
»Ich bin es«, sagte Erik freundlich lächelnd, denn auch wenn jetzt schon alles entschieden war, konnte es nicht schaden, sich von der besten Seite zu zeigen.
Die beiden nickten flüchtig. Nach einer routinierten Vorrede, in der es darum ging, daß er natürlich noch sein Diplom verteidigen müsse, teilte der Geäderte ihm auf bedeutendere Art mit, man beabsichtige, ihn in der »Weltwerbung« einzusetzen.
Dies war nun ein Betrieb, der in Eriks Gedanken bislang nicht die geringste Rolle gespielt hatte, und mehr noch, oder noch weniger, er hörte ja den Namen zum ersten Mal. »Ich bitte um Verzeihung«, sagte er nach einem Räuspern, »aber von einer ›Weltwerbung‹ weiß ich nichts. Worum handelt es sich dabei?«
Der Geäderte schaute zu dem Bleichen, und dieser erklärte, wie der Name schon sage, betreibe der genannte Betrieb Werbung für die Republik, und zwar Werbung im Ausland. Zum einen gebe man diverse fremdsprachige Zeitschriften heraus, alle in Hochglanz. Zum anderen sei man verantwortlich für Reklameplakate auf internationalem Terrain. Vor allem aber koordiniere und organisiere man die auswärtigen Messeauftritte der einzelnen Kombinate. Man buche ja draußen in der Regel Gemeinschaftsstände, das wisse er vielleicht, das habe er im Studium gehabt?
Erik nickte, fragte aber skeptisch: »Und dieser Betrieb gehört zum Außenhandel?«
»Dieser Betrieb ist dem Außenhandel unterstellt, richtig.« Der Geäderte, der Chef des Duos wohl, hatte geantwortet, mit kaum merklichem Unmut.
Wie gut, daß Erik die Gabe hatte, derartig feine Schwingungen wahrzunehmen. Er sollte jetzt besser ruhig sein. Er sollte niemanden herausfordern. Aber ging es nicht um seine Zukunft? Vielleicht würde er demnächst beaufsichtigen müssen, wie ein paar Tische gerade aneinandergereiht und ein paar Plakate richtig festgeklebt wurden? Mit mühsam zurückgehaltener Enttäuschung sagte beziehungsweise fragte er: »Aber mit Außenhandel … also mit dem, was ich studiert habe, hat das nicht viel zu tun?«
»Ich wiederhole, es ist ein Bereich des Außenhandels – und es ist keiner, für den Sie sich zu schade sein sollten. Sie weisen mit einer gewissen Erhabenheit auf Ihr Studium hin, aber Sie scheinen darüber zu vergessen, daß nach einem bestimmten Vorkommnis die Fortsetzung Ihres Studiums wohl keine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Sie haben von vielen Menschen, von vielen, einen Vertrauensvorschuß erhalten, das ist Ihnen doch hoffentlich klar? Insofern, lassen Sie mich das so offen formulieren, finde ich die Ablehnung und die Arroganz, die in Ihren Fragen liegt, schon bedenklich. Man kann nicht immer nur nehmen, man sollte auch einmal geben, zurückzahlen, meinen Sie nicht?«
Der Geäderte, kein Zweifel, erwartete eine Bestätigung. Erik gab sie ihm, wenngleich widerwillig, er zog seine Lippen ein und nickte wortlos. Außerdem stellte er selber eine Frage: »Was genau werde ich tun, können Sie mir das sagen?«
»Darüber wird letztlich in der ›Weltwerbung‹ entschieden«, antwortete der Geäderte. »Aber unserer Kenntnis nach sind Sie für die Messebetreuung im sozialistischen Wirtschaftsgebiet vorgesehen. Näheres erfahren Sie von Ihrem Abteilungsleiter, das ist der Genosse Kutzmutz, suchen Sie ihn ruhig jetzt schon auf, dann wissen Sie, woran Sie sind – und er weiß es auch.«
Mit dieser nähnadelfeinen Ermahnung, sich dort anständig zu betragen, entließ man Erik.
Er verspürte dann recht wenig Lust, den Betrieb schon vor seinem ersten Arbeitstag aufzusuchen, aber da er argwöhnte, sein zukünftiger Abteilungsleiter könne von dem Gäderten und dem Bleichen über ihre Empfehlung informiert worden sein und erwarte nun sogar, daß Erik erscheine, meldete er sich bei ihm und verabredete einen Termin.
Schon stand er im Torbogen des Hauses in der Berliner Tucholskystraße, in dem die »Weltwerbung« ihre Räume hatte. Der Pförtner kündigte ihn telefonisch bei Kutzmutz an. Derweil schaute Erik sich um. An der Wand entdeckte er einen verblichenen Judenstern, aber er hatte keine Zeit, über den nachzudenken, er durfte jetzt hoch.
Kutzmutz kam ihm im Zimmer ein paar schnelle Schritte entgegen und streckte die Hand aus, vielleicht war er ein verträglicher Mann? Sie tauschten
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