Brüder und Schwestern
daran denkt«, sagte Marty.
»Ja, wenn ich nur daran denke.«
Plötzlich umfaßte Marty ihr Handgelenk, riß ihren Arm zur Seite und zischte: »Du denkst aber gar nicht daran! Als ob du noch einen Gedanken an mich verschwenden würdest. Ich bin nicht blind, Prinzesschen, ich habe gesehen, wie du dich eben in der Manege gesonnt hast. Ah, wie Prinzesschen sich hat feiern lassen. Kein Gedanke an mich, keiner. Und warum denn auch, nicht wahr? Du hast doch jetzt alles, was du von Anfang an wolltest.«
»Was sagst du da, Marty? Was soll ich gewollt haben?« Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, aber Marty preßte ihr Handgelenk nur um so stärker.
»Ah, tun wir jetzt wieder arglos, Prinzesschen, hübsch arglos geben wir uns, nicht wahr? Das funktioniert ja immer, das beherrscht ja unser Prinzesschen …«
»Marty, hör auf, so zu reden – und laß mich endlich los!« Wo ist nur seine Sanftmut geblieben? fragte sich Britta. Wo kommen denn auf einmal dieser Hohn und diese Aggressivität her?
»Ich laß dich los, wenn’s mir gefällt. Und ich rede, wie ich will, du Schlampe! Jawohl, Schlampe! Kein Prinzesschen, Schlampe!«
Marty raste jetzt geradezu, er bückte sich, riß Britta mit herunter, schrie »hier, hier«, zerrte eine Keule aus der Tüte und begann, Britta damit vor dem Gesicht herumzufuchteln. »Hier, vom ersten Tag an hast du’s darauf abgesehen, eingeschlichen hast du dich bei mir«, er fuchtelte immer weiter, »und ich Idiot dachte … wie meine Tochter habe ich dich … aber nur ausgenutzt … vom ersten Tag an …«
»Was für ein Unfug«, wehrte sich Britta, »was für eine blühende Phantasie. Hör doch auf, dir so was einzureden, Marty.«
Da lachte Marty wieder sein böses Lachen: »Meinst du, ja? Ich rede mir also was ein, ja? Nein, nein, nein! Damit willst du mir nur was einreden, Prinzesschen. Erst mich ausnützen, und dann mir einreden wollen, ich spinne, was? Oh, ich weiß Bescheid über dich. Dir muß man die Maske vom Gesicht reißen, mein Täubchen. Oh, mich täuschst du schon lange nicht mehr. Viel zu lange habe ich geschwiegen, obwohl ich alles über dich weiß. Nicht länger schweigen, dir die Maske vom Gesicht reißen, ja runter mit der Maske, mein Täubchen, denn jetzt bin ich frei, das ist dein Werk, o ja, niemand hält mich mehr zurück, keine Rücksichten mehr, reden wir doch ein bißchen, na komm schon, der Mensch soll reden, vor allem der geknechtete, und ich war ein Knecht und habe nicht geredet, denn Knechte reden nicht, aber jetzt hält mich niemand mehr zurück, o ja, alles liegt jetzt klar auf der Hand, und ich hätte es alles auch schon wissen können, als du hier hereingeschneit bist und mich umgarnt hast, aber ich war zu gutgläubig, ein letztes Mal zu gutgläubig, ein gutgläubiger Knecht war ich und habe nicht geredet, aber das ist endgültig vorbei, mein Täubchen …«
Britta sah in der Dunkelheit das starre Weiße in seinen Augen. Marty mußte sie vollkommen aufgerissen haben. Er ist ja irre! dachte sie, er bildet sich ja die unglaublichsten Dinge ein. Einfach absurd ist das alles, und niemand außer ihm kann es glauben. Wirklich, er ist verrückt geworden.
Aber obwohl er redete wie ein Verrückter und vielleicht tatsächlich schon einer war – lag in seinen Worten nicht auch etwas, das Britta ernst nahm? Marty rührte ja gerade an ihren dunkelsten Befürchtungen und Ahnungen, an Gedanken, die zuzulassen sie in den letzten Stunden gar keine Zeit gehabt hatte. Und das waren Gedanken darüber, ob sie Devantier nicht doch hätte absagen sollen und müssen. Allzu leicht hatte sie sich von ihm überreden lassen. Eine kleine Schmeichelei, und schon war ich hin und weg und habe alle Zweifel nur zu gern beiseite geschoben, die, daß ich noch gar nicht richtig jonglieren kann, und auch die über das enge Kleid und die offenen Haare. Ja, auch deswegen habe ich doch gezweifelt: Warum hat er mir ausgerechnet jenes Kleid rausgesucht? Ich habe darin doch kaum Luft bekommen. Und warum sollte ich meine Haare ausgerechnet so tragen? Sie stören doch nur beim Jonglieren. Ich habe also durchaus gemerkt, da stimmt etwas nicht. Aber ich habe es lieber nicht genau wissen wollen. Ich war in einem derartigen Wirbel, alles war so aufregend, daß ich mich habe hinreißen lassen. Ich muß künftig unbedingt besser aufpassen, darf mich nicht immer hinreißen lassen.
»Marty«, sagte sie, »ich danke dir dafür, daß …«
Der Rest des Satzes blieb in ihrer Kehle stecken, denn
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