Brüder und Schwestern
unerträglich schien, es vollzog sich beinahe ohne sein Zutun.
Eines Tages aber, zwei Jahre mochten seit jenem ersten Besuch bei der »Weltwerbung« vergangen sein, kriegte er in seinem Raum mit dem Taufbecken einen Anruf von der Kriminalpolizei.
Ob er was verbrochen habe. Er fragte es in einem belustigten Ton, um seine Nervosität zu übertünchen, die wie der Blitz in ihn gefahren war.
Die Polizei ging nicht darauf ein, sondern fragte ihn, ob er in einer Stunde bei ihr erscheinen könne.
Er begriff das als Vorladung und wollte wissen, wo sie denn säße.
Im vorliegenden Fall in einem blauen Lada, der ganz hinten auf dem Parkplatz vor dem Palast der Republik stehen werde.
Diese Auskunft trug nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei. Wollte man ihn vielleicht nicht nur verhören, sondern, wenn’s nottat, auch gleich abtransportieren?
Als er sich auf den Weg machte, war ihm im ganzen Körper heiß, wobei, wie seltsam, die Quelle der Hitze in der Gurgel zu sitzen schien. Dort pochte und summte es. Auf dem Flur traf er Kutzmutz. Sogleich rief er ihm entgegen, er müsse kurz einmal raus, die Kriminalpolizei wünsche ihn zu sehen, warum auch immer, nicht? Mit flackerndem Blick erbat er sich ein beruhigendes Wort, aber Kutzmutz wiederholte nur, »die Kriminalpolizei«, zog einen Moment seine Nase kraus und ging weiter.
Dann war Erik auf dem Parkplatz angelangt. Er entdeckte den Lada, er ging in die Knie, um durch die Scheibe auf der Beifahrerseite zu schauen. Hinterm Steuer saß, zurückgelehnt, ein etwa 30jähriger Mann. Dieser Mann war so groß, daß seine Haare die Autodecke berührten; und semmelblond wie Lütt Matten aus Lütt Matten und die weiße Muschel war er, jedenfalls mußte Erik, als er zögerlich die Tür öffnete und im Wagen Platz nahm, an den denken. Wie seltsam doch ein in Alarmzustand versetztes Hirn reagiert.
Der mächtige Lütt zückte zur Begrüßung einen Ausweis und sagte, er sei vom Ministerium für Staatssicherheit, das mit der Kripo sei geflunkert gewesen (er gebrauchte tatsächlich so ein Kinderspielwiesenwort). Und geflunkert gewesen sei es aus Gründen, die Erik sich bestimmt denken könne.
Erik nickte mechanisch. Er war einigermaßen überrascht, daß er nun von einer Sekunde zur anderen auf dem Schoß der Stasi saß und die Stasi ihn, als kennte sie ihn schon lange, duzte: »… aus Gründen, die du dir bestimmt denken kannst, Erik.«
Garantiert frage er sich, was man so Knall auf Fall von ihm wolle, sagte der mächtige Lütt weiter.
Zum Zeichen, daß es sich genau so verhalte, legte Erik den Kopf schief; dabei fragte er es sich schon kaum mehr. Wenn er ehrlich war, hatte er von Anbeginn nicht ganz geglaubt, daß es sich um die Kripo handelte, die sich da bei ihm meldete. Die Polizei rief doch aufs Revier, nicht in irgendein Auto; ins Auto zu rufen, das roch schon sehr nach Konspiration und Agententätigkeit …
Der mächtige Lütt begann zu erläutern, es geschehe hier natürlich gar nichts Knall auf Fall, denn ein Treffen sei schon überfällig gewesen in Anbetracht der beruflichen und charakterlichen Stärken Eriks. Man kenne und schätze ihn als fleißigen, als auf seinem Fachgebiet mittlerweile beschlagenen, als ideologisch standfesten und im Privatleben untadeligen Genossen, und solche Genossen, die besten und zuverlässigsten, genau die brauche man. Ob er sich also bereitfinden würde zu einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium?
Erik mußte einige Mühe aufwenden, um ein zufriedenes Lächeln zu unterdrücken. Endlich besann man sich seiner! Endlich bat man ihn! Lange schon hatte er darauf gewartet, lange schon hatte er darauf gehofft; er ahnte doch, beinahe jeder seiner Kollegen aus der Tucholskystraße, und noch der schludrigste, war für die Firma im Einsatz – warum also nicht er? Wegen dieser alten Geschichte wieder nur. Nun war sie wohl vergeben und vergessen, nun endlich.
Die Genugtuung währte aber nicht lange. Es störte ihn, daß der mächtige Lütt offenkundig ein umfassendes Wissen darüber besaß, was er, Erik, so alles trieb. Man kenne und schätze ihn, so hatte es doch eben geheißen, oder nicht? Da saß also ein Mensch neben ihm, dem er noch nie begegnet war – und trotzdem zeigte sich genau dieser Mensch bestens informiert über ihn. Und der Mensch, der gab sich noch nicht einmal Mühe, es zu verbergen, der hielt es für eine Selbstverständlichkeit geradezu. Es ist aber keine, ich will nicht, daß er, ohne mich je gefragt zu haben, alles über mich
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