Brüder und Schwestern
vor ihm gewachsen. Sollte seine Verweigerung nicht sowieso auch ein Gruß an den Bruder sein, und an den Vater, an die beiden, die ihn mehr oder minder deutlich noch immer ihre Verachtung spüren ließen? Bis jetzt hatte er sich ihnen gegenüber unterlegen gefühlt, nun aber konnte er sich endlich aufrichten, nun konnte er ihnen, indem er nicht noch einmal ein Papier unterzeichnete, in das der Verrat eingelassen war wie ein Wasserzeichen, wieder ebenbürtig werden. Wie wohl es ihm tat, sich endlich mal so zu verhalten und nicht wieder anders, wahrlich, eine großartige Chance war mit dem Erscheinen des mächtigen Lütt verbunden.
Dennoch drängte es ihn am Abend, sich noch ein wenig zu beraten, und zwar mit jemandem, der ihn in seiner zweifelsohne schon getroffenen Entscheidung bestärken würde. Gewiß, er suchte bloß Rückendeckung, deshalb kam nicht Carla für ein solches Gespräch in Betracht. Sie war immer so eifrig, eifrig beim Ballspiel, eifrig beim Zeitungsartikel schreiben und beim Zeitungsartikel glauben auch, o ja, sie schrieb, woran sie glaubte, und sie glaubte, was geschrieben stand, eindeutig übertrumpfte sie Erik in Fragen der Hingabe; und so traute er ihr jetzt auch die felsenfeste Überzeugung zu, eine Mitarbeit beim MfS sei tatsächlich wichtig und wertvoll im Sinne einer Hege und Pflege der Republik.
Statt dessen traf er sich mit Norbert Weißfinger, der schien ihm die nötige Distanz zu diesem und überhaupt zu jedem Geschehen zu haben. Und typisch Weißfinger: Nachdem Erik ihm das Wesentlichste über seine Begegnung mit dem mächtigen Lütt erzählt hatte, ging er nicht gleich auf den eigentlichen Sachverhalt ein, sondern sagte: »Siehste, im Lada habt ihr gesessen, mindestens die Hälfte der Ladas, die durch Berlin kurven, gehören zum Fuhrpark der Firma, das bestätigt sich immer wieder.«
Woher er das wissen wolle.
Wisse jeder, sei ein offenes Geheimnis. Aber etwas, bemerkte Weißfinger, verstünde er nicht ganz, nämlich, warum Erik sauer gewesen sei, daß man ihn so lange nicht gefragt habe, wenn er nun ganz schnöde absagen wolle. Die Säuernis deute doch gerade aufs Gegenteil hin, auf grundsätzliche gedankliche Übereinstimmung, ja sogar auf Ungeduld, sich endlich einreihen zu dürfen in die entsprechenden Truppenteile.
»Eben nicht. Es war eher ein Beleidigtsein. Wie ich schon sagte: Jeder Idiot wird gefragt. Als ob jeder hier was leisten würde, nur ich nicht …«
»Das heißt, du wolltest eine Bestätigung, daß du ordentliche Arbeit ablieferst und dich auch sonst anständig benimmst?«
»So kann man’s sagen. Eine Belobigung.«
»Dann bist du jetzt aber inkonsequent, hombre!«
»Wieso inkonsequent?«
»Weil nach dem, was du erzählst, die Firma für dich ein Maßstab ist. Ein Gradmesser für dein Handeln. Wenn es sich aber so verhält – dann müßtest du ihr beitreten.«
»Sie ist insofern ein Gradmesser, als sie letzten Endes die gleichen Ziele verfolgt wie ich – und wie du ja wohl auch. Behaupten soll sich das Land, wir wollen das genauso wie die. Aber ihre Methoden auf dem Weg dahin, die mag ich nicht, die widersprechen meiner Vorstellung davon, wie der Mensch sich verhalten sollte. Jemanden anschwärzen, das ist wirklich das Letzte.«
»Hombre, es gehört zur Arbeitsweise eines jeden Geheimdienstes. Würde ein Geheimdienst nicht so arbeiten, wäre es keiner.« Weißfinger lächelte ironisch.
»Dann sollen die so weiterarbeiten – aber weiter ohne mich.«
»Das sagst du, ohne daß du weißt, wofür sie dich eigentlich haben wollen. Vielleicht sollst du ja gar niemanden anschwärzen? Vielleicht wollen sie dich ja im Ausland einsetzen, als Kurier, hast du dir das schon mal überlegt?« Weißfinger lächelte wieder ironisch, als halte er das selber für so gut wie ausgeschlossen.
Erik kam der Gedanke, der mächtige Lütt könne genau das im Kopf gehabt haben bei seiner Bemerkung, man wäre Erik gern behilflich, ferne Ziele zu erreichen; aber es änderte nichts für ihn. »Wenn ich Kurier bin – dann transportiere ich die Anschwärzungen anderer. Macht das die Sache etwa besser?«
»Na«, lachte Weißfinger, »bei dir sind sie tatsächlich an den Falschen geraten.«
Erik schlug ihm mit der flachen Hand auf den Oberarm: »Richtig, da bin ich mir jetzt noch sicherer als vor unserem Gespräch. Das war perfekt, wie du mich herausgefordert hast, ich muß schon sagen. Als ob du mich für die einfangen wolltest, so klang es manchmal. Und du hast geschafft, was du
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