Brüder und Schwestern
beabsichtigt hast: Ich bin von dir zu genau den klaren Antworten geführt worden, die mir noch gefehlt hatten. Danke dafür, ich danke dir.«
Weißfinger verbeugte sich wie ein Diener und legte dabei sogar seinen linken Arm auf den Rücken.
Am nächsten Tag nahm Erik wieder in dem blauen Lada Platz. Der mächtige Lütt begrüßte ihn mit einem Kopfnicken; Erik wollte scheinen, er zeige sich nicht so freundlich wie am Tag zuvor. Vielleicht ahnte der Lütt schon, daß seine Bemühungen doch vergeblich sein würden.
Erik wartete auf eine Frage, aber der mächtige Lütt schwieg, und so erklärte er mit belegter Stimme: »Also, es bleibt dabei. Wie ich schon sagte, ich möchte lieber nicht.«
In seinem engen Sitz drehte sich der mächtige Lütt zu ihm: »Du enttäuschst mich! Angesichts der stolzen Traditionen der Tschekisten, die wir fortführen, hätte ich von dir erwartet …«
Kurz verzog Erik das Gesicht, er konnte nicht anders, so plump war das, was er gerade gehört hatte. Genaugenommen war es das Einfältigste, was je an seine Ohren gedrungen war.
Der mächtige Lütt, kein Zweifel, hatte die Reaktion bemerkt und deshalb seine Rede unterbrochen. Er langte an Erik vorbei zum Handschuhfach, wobei er ihm, keineswegs zufällig, denn so wenig Platz war nun auch wieder nicht in dem Lada, den Ellbogen in die Seite stieß. Im Handschuhfach blitzte eine Pistole. Erik wußte genau, er brauchte sie nicht zu fürchten. Sie lag einfach nur da, wo sollte sie sonst auch liegen. Gut, er hatte der Firma eine Absage erteilt, aber wegen so einer Absage, davon war er felsenfest überzeugt, passierte einem nun wahrlich nichts; mochten jetzt auch sämtliche berufliche Aussichten zerstört sein, der Körper blieb auf jeden Fall heile.
Und doch, mach was dagegen, strömte vom pochenden Hals aus plötzlich wieder Hitze durch seinen Körper.
Der mächtige Lütt griff sich das Schießeisen, legte es auf seinem Schoß ab und zog ein Schriftstück aus dem Handschuhfach, ganz klar, er wäre ja nicht rangekommen an das Papier, wenn er vorher nicht die Pistole da rausgenommen hätte. Dieser Zusammenhang, der für Erik völlig unzweifelhaft war, hätte nun dazu führen müssen, daß seine Körpertemperatur rasch wieder sank, doch das Gegenteil trat ein. Erik kauerte in seinem Sitz wie ein Fiebriger.
Der mächtige, die stolze Tradition der Tschekisten fortführende Lütt schaute ihn kalt an und erklärte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, dann bekomme er jetzt eine Unterschrift, mit der Erik sich verpflichte, über ihr Treffen Stillschweigen gegenüber jedermann zu bewahren, »ich betone ausdrücklich, gegenüber jedermann«.
Schon hielt der mächtige Lütt die vorbereitete Erklärung samt Kugelschreiber Erik vor die Nase. Erik ergriff beides, aber es wollte ihm nicht gelingen, die drei oder vier mit Maschine geschriebenen Zeilen zu überfliegen. Sie verschwammen vor seinen Augen, als sei er unter Wasser gestukt worden, außerdem zitterte seine Hand.
»Dahin.« Ein durchgedrückter Zeigefinger stieß hart auf den rechten unteren Rand des Papiers.
Erik unterschrieb folgsam und schnell, schnell, um den mächtigen Lütt das Zittern nicht sehen zu lassen. Er gab Stift und Papier zurück und flüsterte: »Das war’s?«
Der mächtige Lütt schloß und öffnete nur einmal seine Lider, solcherart war sein Nicken.
»Na dann, Wiedersehen.«
Erik stieß die Autotür auf, der mächtige Lütt warf die Pistole zurück ins Handschuhfach.
*
Das war eigentlich schade, daß er nichts erzählen durfte über die Absage, die er gegeben, und den Anstand, den er dabei gezeigt hatte, aber selbstverständlich war es für ihn auch: Er war schon gewohnt zu schweigen, er sollte ja ebensowenig erzählen, was er in der Tucholskystraße tat, dazu hatte Kutzmutz ihn an seinem ersten Arbeitstag angehalten. Eriks Verständnis für die verschiedenen Geheimhaltungen war freilich unterschiedlich stark ausgeprägt. Über die Firma zu schweigen, erschien ihm logisch, über den Betrieb stumm zu bleiben, empfand er dagegen als übertrieben, wenn nicht als schwachsinnig: War er nicht dafür angestellt worden, die Republik im Ausland leuchten zu lassen? Warum sollte er sich dann daheim ins Dunkel hüllen? Und vor allem, wie sollte er das bewerkstelligen im Alltag? Er traf mit sich selber die Übereinkunft, Freunden wie selbstverständlich von seiner Tätigkeit zu berichten. Nur in Gesprächen mit Fremden wollte er sich lieber bedeckt halten, denn jedem gleich
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