Brüder und Schwestern
weiß, es ist ungesund!
Nicht selten, gar nicht so selten hatte Erik sich ausgemalt, wie er auf eine solche Anfrage reagieren würde: Er würde sie abschlägig beantworten, selbstverständlich würde er das, und nicht aus politischen Gründen, sondern aus moralischen. Spionierte man denn anderen hinterher? Nein, das tat man nicht. Das war anrüchig. Indes war es die ganze Zeit nicht mehr als ein theoretisches Durchspielen einer möglichen Situation gewesen, etwas Klares, Kaltes und Fremdes. Jetzt aber, jetzt spürte er das Anrüchige geradezu körperlich. Von oben bis unten durchdrang es ihn; und wenn er zuvor nicht hatte ausschließen können, daß er im entscheidenden Moment doch noch weich werden würde, sei es wegen seines ihm selber gut bekannten Hanges zum Abwägen, sei es wegen plötzlich ausbrechender Sympathie für den von der Firma Gesandten – so war jetzt genau das Gegenteil der Fall. Er spürte Ekel, und der Ekel machte ihn sicher.
»Ich möchte das nicht«, sagte er, durch die Windschutzscheibe blickend.
»Warum nicht?« Der mächtige Lütt fragte es freundlich, garantiert war er gut geschult, und vielleicht hatte er sich auch zuvor schon die eine oder andere Absage eingehandelt und war deshalb nicht überrascht.
Jetzt kam’s darauf an, was er sagte, das wußte Erik. Er mußte sich verweigern, ohne die Firma zu verprellen und für den Rest seines Lebens gegen sich aufzubringen; Härte zu zeigen mit zur Not auch ganz weichen Worten, das war jetzt nötig. »Von meinem Beruf her«, sagte er also, »bin ich es gewohnt, die Dinge ans Licht zu holen und für alle Menschen sichtbar auszustellen. Ich hebe die Tatsachen hervor, nicht selten sogar plakativ. Ich kann sie gar nicht, wie soll ich sagen, hintenrum anbieten, denn dann würde ja keiner sie bemerken. Und dieses Vorgehen, das ist mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, oder es entspricht einfach, hm, meiner Natur entspricht es wohl. Ich kann gar nichts hinter dem Rücken anderer tun. Es ist mir nicht gegeben irgendwie. Hier aber wäre es meine Aufgabe, nicht? Ja, das wäre sie, anders geht es doch gar nicht. Und deshalb mag diese Aufgabe vielleicht zu anderen passen, die … andere Vorlieben und Eigenschaften haben, aber eben nicht zu mir.« Gegen die Scheibe hatte er die ganze Zeit gesprochen, jetzt erst wagte er zum mächtigen Lütt zu schauen. In seiner Gurgel, in der es sich zwischendurch abgekühlt hatte, stieg die Temperatur wieder an. War das der Ton gewesen, dem sein Nebenmann würde folgen können und wollen?
Der mächtige Lütt reagierte freundlich. Was die von Erik ins Feld geführte berufliche Tätigkeit anginge, so wolle er nur bemerken, das Ministerium könne ihm im Falle einer Zusammenarbeit durchaus helfen, bislang in weiter Ferne scheinende Ziele zu erreichen.
Nicht doch, durchfuhr es Erik, sie wissen ja sogar Bescheid darüber, was sich in meinem Kopf abspielt. Oder interpretierte er zuviel in die Worte des mächtigen Lütt hinein? Meinte der mit »weiter Ferne« vielleicht gar nicht das Ausland, hatte der das Wort nur als Metapher verwendet? Egal, der ausgelegte Köder stank fürchterlich und verstärkte nur Eriks Ekel. »Meine beruflichen Ziele«, sagte er etwas barsch, »möchte ich gern allein erreichen.«
Der mächtige Lütt saß keineswegs in diesem Auto, um ihn zu überreden, wer war er denn. Aber er saß wohl auch nicht da, um sich einen Mißerfolg einzuhandeln, der dann vielleicht auf ihn selber zurückfiele in seinem Ministerium, nein, er wollte sich lieber nicht vorwerfen lassen, zu versagen auf dem schwierigen Gebiet der Menschenführung, darum bot er an, Erik möge, ehe er eine Entscheidung träfe, die er dann womöglich sein Leben lang bereue, eine Nacht darüber schlafen, einverstanden?
Erik lag ein klares »Nein« auf der Zunge. Das er aus taktischen Gründen verschluckte. Mochte seine Antwort auch eindeutig feststehen, so war es im Hinblick auf seine Zukunft wohl doch ratsam, so zu tun, als ringe er mit sich und sei nicht auf ganz radikale Weise abgeneigt. In Ordnung, genau wie eben angeregt werde er’s machen, lenkte er ein.
Dann träfen sie sich morgen zur selben Zeit am selben Ort. Der Lütt verabschiedete sich mit einem derart festen Händedruck, daß Erik vor Schmerz beinahe aufgeschrien hätte.
Vom Palast ging er zurück in die Tucholskystraße, und währenddessen mußte er plötzlich an Matti denken. Wenn der ihn gerade hätte sehen und hören können! Auf der Stelle wäre Mattis Respekt
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