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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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…«
    »So, und Ihre Wanderungen führen Sie immer hier vorbei.«
    »Nicht immer. Sie sehen mich ja nicht, wenn ich auf anderen Wegen bin.«
    »Was für ein schlaues Fräulein«, sagte Heiner Jagielka.
    »Was ist denn heute mit Ihnen«, fragte da Karin Werth. »Sie sind so sarkastisch und … und …«
    »Und?«
    »So schmallippig.« Traurig stand sie vor ihm.
    Heiner Jagielka war in diesem Moment schon fast überzeugt davon, es handele sich bei Karin Werth um ein reines Wesen. »Hören Sie«, sagte er dennoch, »ich bin Geschäftsmann, und wie Sie sich vielleicht erinnern, bin ich in Vorleistung gegangen …«
    »Vorleistung?« Karin Werth wußte wirklich nicht, wovon er sprach.
    Heiner Jagielka schwenkte seinen Arm, wischte mit ihm mal kurz über die noch niedrig stehende Sonne. »Nun, mein Reich – ich habe es Ihnen in größter Freimütigkeit geöffnet. Ich habe, so drückte ich mich aus, mein Schicksal in Ihre Hand gelegt. Ist sie wohl sanft? fragte ich. Und das möchte ich jetzt gern wissen: Was ist das für eine Hand, Fräulein? … Nein, warten Sie, bevor Sie antworten, will ich Ihnen noch etwas erklären. Eben erst hatte ich mir vorgenommen, sozusagen von hinten durch die Brust in Sie zu dringen, um alles herauszubekommen: Wer Sie sind. Was Sie herführt. Wo Sie hin wollen. Wie hell oder dunkel Ihre Motive sind; mit einem Wort: Ob ich Ihnen vertrauen kann. So vorzugehen, ist mir gewöhnlich ein leichtes. Ich behaupte sogar, es ist, von allem Chemischen mal abgesehen, mein Erfolgsmodell. Aber jetzt verfolge ich dieses Modell auf einmal nicht mehr, jetzt platzt einfach die Wahrheit aus mir heraus. Hehe, sie erblüht schneller als jede meiner Blumen. Da sehen Sie mal, welchen Eindruck Sie auf mich gemacht haben. In Ihrer Nähe neige ich zu Unklugheiten, das ist mir sogar bewußt, und mir ist deswegen auch nicht wohl. Weiß ich, was ich von Ihnen wiederkriege? Weiß ich, was es mir bringt, ehrlich und gutmütig zu sein? Ich bitte Sie in aller Form und mit dem größten Respekt, lachen Sie jetzt nicht über mich. Antworten Sie Heiner Jagielka, der zu seinem eigenen Erstaunen vor Ehrlichkeit sprüht, jetzt nicht mit der Unwahrheit.«
    Karin Werth starrte ihn überrascht an. Daß es derart aus ihm herausbrach! Sie war ja ebenso, oder noch mehr, auf der Hut wie er, sie mußte sicher sein, daß dieser Mann nur Blumen verscherbelte und nicht auch Seelen, es gehörte zu den Dingen, die sie hatte in Erfahrung bringen wollen, als sie heute bei Sonnenaufgang losgegangen war. Und nun wußte sie es. Mochte Jagielka noch so verschlagen wirken, im Grunde seines Herzens war er ein anständiger Kerl. Das erleichterte sie im ersten Moment – und beschwerte sie im zweiten. Denselben Anstand nämlich, den mußte sie ihm versagen. Sie durfte ihm doch nicht beichten, was sie hertrieb, sie durfte ihm nur eine allgemeine Auskunft über sich geben, und so erklärte sie mit ernstem Ausdruck: »Ich werde nicht über Sie lachen, und ich werde Sie in keiner Weise beschädigen. Das ist nicht meine Art. Und überhaupt … überhaupt bin ich der Meinung, kein Mensch sollte einen anderen mutwillig beschädigen. Manchmal passiert es unabsichtlich, dann wäre es schön, wenn es gemerkt und wiedergutgemacht würde. Aber das ist so selten! Wie oft dagegen geschieht das Beschädigen mit voller Absicht, aus finstersten Gründen. Es stülpt einem den Magen um, das mit ansehen zu müssen, man schämt sich so, daß man fort will, nur fort.«
    Nach dieser etwas pathetischen, ins Allgemeinmenschliche zielenden Erklärung erkundigte sich Heiner Jagielka, ob er eine Pastorin vor sich habe.
    Er erntete herzhaftes Lachen: »Nein, eine Lehrerin. Ich habe unten in Gerberstedt Deutsch unterrichtet. Und da Sie mir eben en passant Ihren Namen nannten, will ich auch mit meinem nicht hinterm Berg halten: Ich heiße Karin Werth.«
    Heiner Jagielka, der im Laufe seiner Handelstätigkeit die Eigenschaft entwickelt hatte, kein noch so nebensächlich scheinendes Wort zu überhören, wiederholte: »Sie haben Deutsch unterrichtet?«
    Karin Werth schalt sich im stillen ob ihrer Unüberlegtheit. Schnell antwortete sie: »Nun, jetzt sind große Ferien, das Schuljahr ist vorüber, so meinte ich es.«
    Heiner Jagielka nickte. »Und solch ein … verzeihen Sie, daß ich mich der folgenden Charakterisierung nun doch nicht enthalten kann, sie zielt beileibe nicht nur aufs Äußerliche, ich betone, nicht nur aufs Äußerliche, deshalb darf ich das vielleicht sagen – solch ein

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