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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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und ich versuche auch durchaus, alles zu verstehen; und dieses Land hier, Ihr Land, verstehe ich dahingehend, daß es sich, aus einer gewissen Abschottung heraus, diverse eigene Regeln schuf, nach denen es sich richtet. Soweit alles logisch. Nur sollte es, wenn es mit der übrigen Welt in Kontakt und Austausch zu treten wünscht, seine im Innern geltenden Bestimmungen wenn nicht vergessen, so doch hier und da beiseite schieben, ansonsten wird der Austausch nicht funktionieren. In der übrigen Welt, das ist nunmal so, herrschen durchaus andere Werte und Regeln, in der übrigen Welt ist als holzfrei ausgewiesenes Papier auch wirklich holzfrei und nennt sich nicht nur so. Ich bitte Sie daher herzlich, für uns auf solchem hundertprozentig reinen Papier zu drucken. Ich wiederhole, nicht zweiundneunzigprozentig, nicht neunundneunzigprozentig – hundertprozentig. Ist das machbar für Sie?«
    Willy nickte zerknirscht. Der Außenhandel würde derartige Rollen liefern müssen, wenn man den »Westenend«-Auftrag nicht verlieren wollte.
    »Gut, dann zum Leinen für die Buchdeckel.«
    Willy nickte abermals. Erneut ging er zum Schrank, aber diesmal war das nicht mehr ein Schweben. Er reichte Overdamm eine Leinenprobe und blieb noch vor ihm stehen wie ein Schüler, der von seinem Lehrer eine Klassenarbeit zurückerwartet. Plötzlich verzog er aber unwillig die Mundwinkel. Er straffte sich und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
    Overdamm murmelte noch einmal sein »Entschuldigung« und griff auch noch einmal in seine Jackettasche. Was er diesmal zum Vorschein brachte? Ein Schweizer Taschenmesser. Er ließ die größte Klinge aufspringen und stach damit zu Willys Entsetzen in den Deckel. Er hackte ja geradezu auf den Deckel ein! Das Leinen bröckelte wie Lehm.
    »Hier haben wir demzufolge ein weiteres Problem …«
    Mit vor Empörung zitternder Stimme unterbrach Willy ihn: »Ja wenn Sie dermaßen in dem Leinen rumfuhrwerken, kann es doch gar nicht halten! Das mit Ihren Tropfen mochte ja noch angehen, aber was für einen ungeheuerlichen Test führen Sie mir denn jetzt vor? Mit dem Messer zerschlitzen Sie doch jeden Deckel!«
    Overdamm seufzte. »Nicht jeden. Und nicht so leicht. Es tut mir leid«, er deutete mit dem Messer auf das Leinen, »aber dies hier ist schlecht geleimte Pappe, und so eine Pappe ist nicht akzeptabel – für mich.«
    Aber für mich, aber für mich, wollte Willy ihm entgegnen. Und nicht nur für mich. Hierzulande stehen Millionen Bücher mit genau solchen Deckeln in den Regalen, und sie gehen von Hand zu Hand und gehen trotzdem nicht kaputt, also kommen Sie zurück auf den Boden, Overdamm, spielen Sie hier nicht verrückt. Doch Willy schwieg. Gerade noch rechtzeitig hatte er sich daran erinnert, was ihm von Zeiller eingebleut worden war: in jedem Fall einlenken, jede Konfrontation vermeiden.
    Er sagte: »Wir werden sehen, was wir da machen können.«
    »Bitte, das ist mir zu nebulös. Ich hätte gern eine verbindliche Aussage.«
    »Verbindliches kann ich Ihnen in dieser Minute leider noch nicht erklären.«
    »Aber über das Material können wir uns doch wenigstens einigen. Diese Pappe, um es klar und deutlich zu sagen, erscheint mir grundsätzlich kaum geeignet.«
    »Nun, wenn es so ist … wir haben auch schon mit Preßspan gearbeitet.« Willy gab sich Mühe, wahrhaft.
    Jedoch Overdamm, der genauso. War ja auch in seinem Sinne, das Geschäft hier nicht platzen zu lassen. »Preßspan ist gut«, rief er, »Preßspan ist sogar sehr gut.« Er blickte Willy aufmunternd an, zeigte ein selbstsicheres, die Gönnerhaftigkeit knapp vermeidendes Lächeln; gewiß, um ein Haarbreit weiter auseinandergezogen die Mundwinkel, und es wäre schon gönnerhaft gewesen.
    Sie standen auf und gaben sich die Hand, ausgiebig taten sie das sogar, diese beiden hatten sich gefetzt, aber nicht beleidigt, mochten sie sich nicht sogar?
    Ihr langer Händedruck war zugleich ein Verabschieden, sie trennten sich schon, da überraschte Overdamm Willy noch mit einer lapidaren Frage: »Ach, sagen Sie – kennen Sie eigentlich eine Karin Werth?«
    »Karin Werth?« fragte Willy zurück. Während er aber den Namen aussprach, erinnerte er sich an die frühere Deutschlehrerin Mattis und Brittas. Sie war dann auf einmal von der Bildfläche verschwunden gewesen. Angeblich hatte sie versucht, Republikflucht zu begehen, was, wenn er sich recht erinnerte, speziell Matti mächtig beschäftigt zu haben schien; ganz einsilbig war der geworden, als

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