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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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tut mir weh, das zu beobachten. Ich möchte doch, daß er glücklich ist. Aber wenn ich mich zu einem kühlen und nüchternen Blick zwinge, dann erkenne ich, alles hat seine Logik und kann gar nicht anders sein. Und ich möchte auch nicht, daß es anders wäre. Jonas soll mißmutig sein und ein bißchen Krach schlagen – merkst du, wie schlecht ich bin, Willy? Gewiß, auch in mir steckt Schlechtes. Ich schicke meinen Sohn vor, das zu tun, was ich mich nie getraut habe. Ich küre ihn im stillen zum Ausführenden meiner Träume. Na, wenigstens verurteile ich ihn nicht wegen seiner Ziellosigkeit. Er erscheint dir griesgrämig und ungnädig, aber tatsächlich ist das bloß Ziellosigkeit. Seine Verweigerung schießt in alle Richtungen – was ich ebenfalls verstehe, wenngleich nicht in jedem Fall unterstütze. Und damit komme ich endlich auf dich zurück, Willy. Wie viele haben es damals abgelehnt, Jonas eine Lehrstelle zu geben, und wie hanebüchen sind ihre Begründungen gewesen. Nie wurde ihm der einzig wahre Grund mitgeteilt. Du hast ihn schließlich zu dir geholt, kraft deiner Wassersuppe hast du’s einfach getan, und ohne daß wir je darüber gesprochen hätten, weiß ich doch, du erwartest ein wenig Dank von ihm und nicht dieses Schroffe und Abweisende, das er dir gegenüber an den Tag legt, stimmt’s? … Siehst du. Aber es ist folgendermaßen: Er ist eingegrenzt, er hat kein Abitur und darf nicht studieren, er fühlt sich verbannt in den Betrieb, in dem er nun arbeitet, er weiß, du hast es gut gemeint, als du ihn dort unterbrachtest, ich wiederhole dir, das weiß er schon, und doch kommt er nicht gegen das Gefühl an, du seiest so etwas wie sein oberster Wärter. Der Mann, der den Draht um ihn zieht und noch Dank dafür erwartet, daß es sich nur um Draht handelt, durch den es sich immerhin atmen läßt, und nicht um Gummi oder Beton. Das ist die Wahrheit, Willy, das ist die Erklärung, also verdamme ihn nicht.«
    Willy überließ Jonas seinem Unwillen und trat zu Dietrich Kluge, der prüfend auf die MAN schaute. Doch kam Willy nicht dazu, etwas zu sagen, denn plötzlich zerriß ein Knall die Luft, der altvertraute Donnerschlag, der aus reißendem Papier fährt. Die Maschine ließ nun keine anderen Geräusche mehr ertönen, sie hatte sich abgeschaltet.
    Dietrich Kluge wollte loslaufen, um sie wieder in Gang zu setzen, aber Willy hielt ihn zurück: »Vielleicht müssen wir die Geschwindigkeit drosseln, es ist absolut holzfreies Papier, es reißt eher.«
    »Müssen wir?«
    Willy nickte.
    Dietrich Kluge nickte auch, aber auf eine sarkastische Art: »Dann sind wir uns ja einig. Mensch, Willy – was glaubst du, womit ich hier schon die ganze Zeit beschäftigt bin? Genau damit, herauszufinden, was die beste Geschwindigkeit ist. Nicht zu schnell, sonst knallt’s dauernd. Aber weiß Gott auch nicht zu langsam, sonst halten wir den Zeitplan nicht, und dann bist du der erste, der’s uns unter die Nase reibt, denn diesmal den Zeitplan nicht zu halten, das können wir uns gar nicht erlauben.« Kluges Gesicht war während seiner Erklärung immer finsterer geworden.
    »Nun dramatisiere mal nicht«, erwiderte Willy großzügig, »geht doch alles seinen Gang, läuft doch alles im großen und ganzen.« Er klopfte nun auch Dietrich Kluge auf die Schulter und fügte aufmunternd hinzu: »Du schaffst das schon, da bin ich mir sicher!«
    Kluge aber schaute nach diesen Worten nur um so finsterer und gab vielsagend zurück: »Da wäre ich mir gar nicht so sicher an deiner Stelle, daß hier alles läuft.«
    Willy maß dem keine weitere Bedeutung bei und übersah auch, daß die anderen Mitarbeiter, die ihm auf seinem Rundgang begegneten, nicht ein Lächeln erkennen ließen; so geht’s jemandem, der ewig und drei Tage auf dem Trockenen saß, kaum kriegt er vom betörenden Trunk der Euphorie zu nippen, gleich fängt’s in seinem Hirn an zu glühen, und er wird ganz unaufmerksam.
    *
    Am Abend marschierte Willy noch in die Box, in die betriebseigene Schwimmhalle. Er hatte das Gefühl, alles, worauf es ankam, erledigt zu haben, und wollte das feiern mit ein paar kräftigen Zügen, mit einem Pflügen des Wassers, denn er wußte: War man schon zufrieden, empfahl es sich, seinen Körper einer kleinen, feinen Strapaze zu unterziehen, und die Zufriedenheit würde noch ein ganz anderes Maß erreichen und sich vielleicht sogar zu einem Glück auswachsen.
    Er kam schnell in seinen Rhythmus, fand bald die beste Linie nahe an der Korkleine, er

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