Brüder und Schwestern
schwamm so dicht bei ihr, daß die Finger seiner rechten Hand, wenn er die von vorn nach hinten zog, sich schon knapp unterm Kork befanden. Und genau so war’s recht, so sah er die rotweiße Schlange direkt neben sich vorbeiflutschen, so kriegte er ein Gefühl, wie er es, allerdings noch viel großartiger, von seiner Jawa her kannte, das Gefühl, er sei besonders schnell in inmittelbarer Nähe seitlicher Begrenzungen – eine Täuschung natürlich, aber eine angenehme und sinnvolle.
Und außerdem, nicht alles war Täuschung. Willy schwamm tatsächlich schneller als sonst. Etwas ließ ihn tiefer und flüssiger tauchen, so tief, daß jedesmal das Wasser über seine Schädeldecke spülte, und dieses durchaus profane Etwas war seine Schwimmbrille. Er trug sie zum ersten Mal. Er dankte Britta für dieses hilfreiche Weihnachtsgeschenk und reckte den Kopf, ein Gruß sollte das sein an Dietrich Kluge, der sich jetzt auch wieder in der Halle zeigte, und überhaupt, Weihnachten, war das denn schlimm gewesen? Nicht so schlimm, wie er noch am Vorabend des Vierundzwanzigsten hatte befürchten müssen, denn da hatte Ruth auf wahrhaft erschreckende Art und Weise fünf Pappteller mit Nüssen und Pfefferkuchen bestückt, ihre Lippen zusammengepreßt, ihre Augen stumpf. Und nicht nur, daß sie die Leckereien gleich mehrmals abzählte, sie plazierte sie auf allen Tellern auch auf identische Weise, sie verbiß sich geradezu in ihre Aufgabe und würdigte ihn, Willy, der um sie herumschlich, keines Blickes. Dann aber erschienen, eins nach dem anderen, die Kinder, und Ruth, die tagelang buchstäblich kein Wort gesprochen hatte, verwandelte sich in das gesprächigste Wesen der Welt, in ein rechtes Plappermaul. »Britta, mein Schatz«, flötete sie, nachdem es geklingelt hatte und sie zur Tür gelaufen war, »was trägst du denn da auf dem Kopf, mein Engelchen, ja wie ein Engelchen erscheinst du mir und bestimmt nicht nur mir, Willy!« so rief sie ihn, so sprach sie endlich wieder in seine Richtung, »nun komm doch und guck dir das an, sieht es nicht wundervoll aus, wo hast du denn dieses Schmuckstück her, mein Schmuckstück du.« Und Ruth hing Britta am Hals und ließ nicht eher los, bis sie sicher sein durfte, daß er direkt hinter ihnen stehen und ihr Verschlungensein auch ja bemerken werde. Dann löste sie sich, und Willy sah die hellbraune Schapka, die Britta trug, ein wenig in den Nacken geschoben hatte sie sich die, so daß ihre weiße Stirn frei blieb und ihre langen blonden Haare darunter hervorquollen, es schien, als bestünde das ganze Mädchen nur aus Weiß und Blond und Hellbraun, derart licht strahlte es, und auch er fragte, woher sie die Schapka habe, rechtschaffen verblüfft war er aber im Gegensatz zu Ruth, denn dieses Fell hier, das war doch sündhaft teuer, und überhaupt, wo kriegte man so eins her? »Von Juri«, sagte sie, und Dietrich Kluge schwamm mittlerweile auch, Bahn sieben hatte er gewählt, während Willys Nummer die Fünf war, eine Bahn ließen sie wie immer frei zwischen sich, Niemandswasser, in dem die Ausläufer der von ihnen aufgeworfenen Wellen zerfließen konnten. Ruth hakte nun eilig ein, »Juri, das ist doch der … der, na hilf mir mal schnell, mein Schatz«, und Willy sah durch die Schwimmbrille, wie Britta ihm einen Blick zuwarf, einen, in dem Unwillen über das Vorschnelle und zugleich Vergeßliche ihrer Mutter lag, einen aber auch, in dem er etwas Verschwörerisches entdeckte. Er nickte ihr ebenso verschwörerisch zu, und bittend, und sie verstand, dies war nicht die Stunde, sich ungeduldig zu zeigen. Brav antwortete sie, »Juri ist der Akrobat, der zwei Jahre bei uns im Zirkus war, Mama, ein ganz Lieber ist das, er hat mir die Schapka aus Jaroslawl geschickt, dort ist er zu Hause, wie ich, glaube ich, schon mal erzählt habe, Mama«. Er mußte schmunzeln, weil sie sich des Nachsatzes doch nicht hatte enthalten können, breit zog er seinen wasserdicht verschlossenen Mund, so schwamm er weiter, weiter in die Gedanken seiner Tochter hinein, die er zu kennen glaubte wie sonst nichts; ohne daß Britta je davon erzählt hätte, wußte er zum Beispiel, sie und dieser Juri waren mal ein Paar gewesen, aber nur kurze Zeit, dann war sie des Burschen wohl überdrüssig geworden. Und so was, so was geschah ihr öfter, Willy merkte es immer daran, daß sie eine Weile mit blitzenden Augen einen Namen nannte, den dazugehörigen jungen Mann aber durchaus nicht vorstellte, immer erschien sie nur mit dem Namen und
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