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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Fährmanns, während das von Vestis unverhohlene Neugierde ausstrahlte. Dabei waren beide etwa gleich alt. Ich schätzte sie auf 35 Jahre. Gomus fragte mich mit sonorer Stimme, ob ich zu Antonio gebracht werden und mit dem Unterricht zu beginnen wünsche, doch ich verneinte und bat Vestis, mir erst einmal die verschiedenen Gebäude innerhalb des Kerkerdreiecks zu zeigen. Ich hoffte, von ihm wichtige Auskünfte über Antonio zu erlangen: Wie er sich in den sechs Jahren seiner Gefangenschaft entwickelt hatte, wie im einzelnen mit ihm verfahren worden war, wie er auf dieses oder jenes zu reagieren pflegte. Kurzum, mir war es um Auskünfte zu tun, die mir helfen würden, so mit ihm umzugehen, daß ich ihn während meines Unterrichts, und, weiter gefaßt, während unserer Zusammenkünfte, wahrhaft erreichte. Zu meiner großen Enttäuschung sah sich Vestis jedoch außerstande, mir weiterzuhelfen. Er erklärte, erst einen Monat zuvor auf die Insel befohlen worden zu sein. Der Wachmann nämlich, der bis dahin zusammen mit Gomus Dienst verrichtet habe, sei irre geworden, was wiederum er, Vestis, nach diesem einen Monat sehr gut nachvollziehen könne: »Herr Karandasch, auch für mich ist die Situation hier schon allzu bedrückend! Auch ich habe längst Angst, verrückt zu werden! Der junge Herr Antonio führt Selbstgespräche, aber mit Worten, die nicht zu verstehen sind. Und wir müssen uns immer mit ihm in der Zelle aufhalten, zumindest einer von uns, auch in der Nacht, wenn er schläft, wußten sie das? … Sie wußten es nicht. Nun, Gomus hat sich damit abgefunden, daß das Leben hier nur aus Stille und Kauderwelsch besteht, und schweigt selber. Er schweigt übrigens auch außerhalb der Zelle, wo er nicht zu schweigen brauchte, es ist, als müsse er sich den Regeln, die wir doch nur bei einem Sträfling durchsetzen sollen, selber unterwerfen. Schlösse man ihn ein wie den jungen Herrn, würde er nicht aufbegehren, sondern sich, gleich einem abgerichteten Tier, brav niederlegen, daran besteht für mich kein Zweifel. Was aber nun den ehemaligen Wachmann betrifft, Herr Karandasch: Es heißt, er habe die ewigen Selbstgespräche des jungen Herrn nicht mehr ertragen. Mitten während des Essens sei er aufgesprungen und habe, ›halt’s Maul, halt endlich dein verdammtes sabbelndes Maul‹ schreiend, dem laut murmelnden und mampfenden Herrn seinen Dolch an die Kehle gehalten. Er hat sogar die Haut des Herrn geritzt, und Blut ist auf die weiße Tischdecke getropft.«
    *
    Während Matti sich der Natur hingab, pflegte Peter Schott intensive Beziehungen zur Tierwelt. Insbesondere sorgte er regelmäßig für frischen Fisch. Zeitweilig hatte er sogar einen Gehilfen angestellt, der ihm welchen fing, und wenn dieser auf den Namen Jimmy hörende Geselle für geraume Zeit auch zur Besatzung gehörte, so war er doch kein Mensch – sondern ein Kormoran.
    Er hatte sich den Schiffern gewissermaßen aufgedrängt, indem er nicht von einer der Dalben gewichen war, an denen die »Barby« eines Abends festgemacht hatte; offensichtlich war er nicht gewillt, sich seinen Stammplatz nehmen zu lassen. Reglos und furchtlos stand er da auf seinen Streichholzbeinen. Als Peter Schott ihn so sah, kam ihm eine, wie er meinte, grandiose Idee: Er knüpfte in Windeseile ein Lasso und ließ es zum in diesem Moment natürlich noch namenlosen Jimmy fliegen. Schon zog es sich um Jimmys Hals. Da wollte der Kormoran doch lieber fort von der Dalbe, er stob sogar wie von der Tarantel gestochen auf, der arme Kerl hätte sich glatt umgebracht, hätte sich ohne Galgen mitten in der Luft erhängt, wenn Peter Schott nicht herbeigestürzt wäre und ihn sachte, sachte zu sich herangezogen hätte. Und Peter, der ging auch danach mit großem Einfühlungsvermögen vor: Er band Jimmy die Beine zusammen, das schon, das ließ sich leider nicht vermeiden, aber er gab ihm doch viel Seil, über 100 Meter – man konnte da durchaus von Freiheit sprechen, und wenn nicht von Freiheit, so doch von fürsorglicher Hege. Schön war außerdem, daß er ihm Schmuck um den langen, schlanken, geradezu nach Pretiosen verlangenden Hals legte. Hierbei handelte es sich um einen weißen Holzring, den er von der Gardinenstange seiner Kajüte abgezogen hatte. Das Weiße bildete nun einen herrlichen Kontrast zu dem schwarzen Kormorankörper und sorgte auch dafür, daß Jimmy, wenn er in der Dunkelheit aufflog innerhalb des ihm zugebilligten Wirkungskreises, ganz einfach zu entdecken war. Jawohl, Jimmy

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