Brüder und Schwestern
nicht richtig hoch. Selbstverständlich hatte Peter Schott ein Einsehen und ließ die Leine laufen, so daß Jimmy die nötige Bewegungsfreiheit wiedererlangte; sie waren ja auch vier Mann und hatten erst zwei Fische, da fehlte noch was, da sollte schon noch was kommen.
»Wieso eigentlich Jimmy?« fragte Matti, während der Kormoran wieder auf Jagd war.
Peter Schott erklärte ebenso kryptisch wie pathetisch: »Ick sage nur zwei Worte: Eisanunion!«
Lehrling Zehner, der erst wenige Tage zuvor auf der »Barby« angeheuert hatte, entfuhr ein »häh?«
Matti übersetzte: »Eisern Union. Union Berlin ist Peters Fußballverein. Da rennt er immer hin.« Was aber der Vogel mit dem Verein zu tun haben sollte, war auch ihm schleierhaft, und so schaute er fragend zu Peter Schott.
Der erläuterte: »Jenau, da binnick dauernd. Und wie jeder, der da is, liebe ick immer noch Jimmy Hoge. Ein genialer Stürmer war ditt, aber trotzdem isser nich alt jeworden bei Union. Die Funktionäre hamm ihn von eim Tag auf den andern aussem Verkehr jezogen. Ett jibt tausend Jerüchte, warum, aber mit denen willick euch nich behellijen. Jimmy war einfach n Querkopp, ditt is letztlich der Grund. Jemand hat ne besondere Idee von sich – und schon kriegter Ärger. Man kann nüscht tun, außer die Erinnerung an ihn wachzuhalten.« Peter Schott hielt inne, wies dann plötzlich auf den Vogel und sagte: »Darin liegt natürlich für ihn hier ne große Ehre und ne unheimliche Verpflichtung.« Er zog den Kormoran mit der Leine zu sich und schaute ihn streng an: »Wir erwarten watt von dir, Jimmy, und zwar nich nur heute! Ooch morgen und übermorgen! Um ett mal so zu sagen: Jimmy Hoge hat uns Tore jeschenkt, und du sollst uns Fische schenken – Fische, is ditt klar?«
Jimmy glotzte ihn ausdruckslos an. »Jib ma«, sagte Peter Schott zum Lehrling Zehner, riß ihm den eher schlanken Barsch aus den Händen und hielt ihn Jimmy vor den Schnabel, wobei er ausrief: »Ditt is n Fisch, wenn ooch n krepljer, aber im Grundsatz is ditt n Fisch, verstehste?«
Jimmy schnappte plötzlich nach dem glitschigen Barsch, entzog ihn Peter Schott und schluckte und würgte wie ein Wilder, vergeblich, der Ring spannte an seinem Hals. Da fiel Peter etwas ziemlich Wichtiges ein. Jimmy mußte ja ab und zu noch selber einen Fisch in den Magen kriegen, ansonsten würde er bald nicht mehr auf Raubzug gehen können und fiele tot um. Außerdem, dachte sich Peter Schott, würde es Jimmy unheimlich motivieren, wenn er merkte oder vielleicht sogar begriffe, daß trotz der eindeutigen Auftragslage immer auch was für ihn abfiele. Kurz entschlossen zog er ihm den Ring vom Kopf und klemmte ihn sich selber zwischen die Zähne. Sofort flutschte der Fisch den Kormoranhals hinab, alle konnten zusehen, wie dieser schlanke Hals sich für einen Moment sackartig weitete. Sie hörten auch, als käme es aus einer Rohrpostanlage, ein zischendes Geräusch. Peter Schott nickte befriedigt, steckte Jimmy den Ring wieder um den Hals und rief ihm zu: »Ditt war ne Vorleistung unsrerseits, nich etwa, daßwa uns falsch verstehn, mein Freund. Du krist nich jeden zweeten Hoscha, da wirste nur fett und faul. Nochma, du hast ne Verpflichtung, Jugendfreund! Sagnwa, drei für uns, eener für dich, ditt is ne ordentliche Uffteilung, ick frachma meine Kumpels hier, oppitt denen jenehm is?« Er drehte sich zu den anderen um. Matti prustete vor Lachen. Werner Klopsteg stierte wie immer. Lehrling Zehner schaute betreten nach unten. »Is jenehm, mehr oder wenjer. Also Jimmy, abjemacht!«
Und Jimmy, was blieb ihm anderes übrig, flog los und brachte Peter an jenem Abend, da ihr Kontrakt nicht besiegelt, aber beringt worden war, getreu seiner Verpflichtung noch drei Fische, da besaßen sie vier, die Peter Schott aufs feinste briet; jawohl, er war ein erstklassiger Koch, und weil er das war, hatte sich längst eingebürgert, daß er sich mehr um das Essen als um das Steuer kümmerte, an dem wiederum meist Matti stand.
Leider wurde Jimmy, der Kormoran, ebenso jäh aus dem Verkehr gezogen wie Jimmy, der Fußballer. Drei Wochen hatte er, halbfestgebunden am Backbordpoller, höchst anständig seine Arbeit verrichtet, so daß Peter sogar in die Lage versetzt worden war, an den Schleusen, die sie benutzten, ziemlich respektable und vor allem absolut frische Fische zu veräußern, aber dann mußte Peter mit ansehen, wie Jimmy, sein braver Fänger, plötzlich selbst gefangen wurde. Jimmy war gerade wieder ins Wasser gestoßen,
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