Brüder und Schwestern
sollte ruhig herumfliegen, und Fische fangen, Fische fangen sollte er nach Herzenslust, ausdrücklich dazu aufgerufen war er sogar, einzig und allein beim anschließenden Essen, ein regelrechtes Verschlingen war das ja bei ihm und seinesgleichen, sollte er sich schon ein bißchen anders verhalten als bisher, nicht so rücksichtslos und egoistisch, sondern, wie Peter Schott sich ausdrückte, »mehr uffs Jemeinwohl jerichtet«.
Nicht jeder an Bord verstand Peter auf Anhieb und in Gänze, der Lehrling Kevin Zehner zum Beispiel zeigte an jenem ersten Abend beim Anblick des gefangenen Tieres ein überaus mitleidvolles und geradezu verstörtes Gesicht. Ihm gegenüber präzisierte Peter: »Watt willste, Junge, dett Vieh kriegt jetzt ne höhere Stellung in der alljemeinen Nahrungskette, ett rückt näher an den Menschen ran.« Kevin Zehner schaute verständnislos, da präzisierte Peter abermals: »An uns, Mann!«
Der an die Leine genommene und beringte Vogel flatterte so aufgeschreckt übers Wasser, als wäre der Teufel hinter ihm her, er wirkte unstet und unkoordiniert wie eine Fledermaus. Fatalerweise nahm er auch nirgendwo Platz, um sich auszuruhen. Peter Schott bekam schon Angst, der Kormoran werde bald nicht mehr die Kraft besitzen, um die ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen, da schoß das Tier doch noch schneidig ins Wasser und tauchte im nächsten Moment wieder auf und hatte etwas silbrig Glänzendes und verzweifelt Zappelndes im Schnabel. Sogleich war Peter Schott in höchste Erregung versetzt. Jetzt würde sich zeigen, ob das tatsächlich eine geniale Idee war, die er da gehabt hatte, oder nur eine fixe: Lag der Ring nämlich nicht eng genug um den Hals, würde der Fisch hindurchrutschen und im eindeutig falschen Magen landen. Ließ aber der Vogel, weil er merkte, daß er allenfalls noch einen Regenwurm zu schlucken imstande war, seinen Fang enttäuscht wieder fallen, hatte erst recht niemand was davon, außer natürlich der Fisch. Indes, der Ring schien perfekt bemessen, der Kormoran kriegte und kriegte den Fisch nicht hindurch. Glücklicherweise gab er ihn auch nicht frei, er war wirklich ein sturer Vogel, er schluckte und schluckte und flog schließlich, immer weiter schluckend und schnappend, in Richtung Heimatdalbe. Wie Peter Schott nun frohlockte! »Ick weeß, watte denkst«, murmelte er, »du denkst, wennde erstmal in Ruhe uff deim Stammplatz stehst, wirds schon flutschen – aber nüscht da!« Und er griff sich, kaum daß der Vogel seine gefesselten Streichholzbeine ausgefahren hatte, den Fisch, bei dem es sich um einen ausgewachsenen Barsch handelte, und präsentierte ihn mit stolzgeschwellter Brust der Mannschaft. Den Kormoran aber bedachte er mit einem zärtlichen Blick.
Und das war auch der Moment, in dem ihm der Einfall gekommen sein mußte, seinen Zuträger in einem weihevollen Akt Jimmy zu taufen. Jedenfalls stürmte er, den Zeigefinger in die Luft piekend, plötzlich von Deck. Wenig später tauchte er mit einer wassergefüllten Tasse, an deren Außenwand getrocknete Kaffeeschlieren klebten, wieder auf. Mitterweile war die vierköpfige Besatzung vollzählig vor der Dalbe versammelt, das heißt, außer Matti und Kevin Zehner stand auch Werner Klopsteg da, der mürrische, verschlossene Maschinist, mit dem keiner so richtig warm wurde. Dafür war die Hauptperson, das Federvieh, von seinem Platz verschwunden. Nur die zuckende Leine war noch zu sehen. Peter Schott schwenkte enttäuscht seine Tasse. Einen Augenblick später hellte sich seine Miene jedoch wieder auf, und er rief in größter Vorfreude: »Janz klar, der jagt schon wieder, der hat Knast!« Und wirklich dauerte es nicht lange, und der Kormoran erschien mit einem zweiten Fisch, was Schott mit einem triumphierenden »Sehta!« quittierte. Er hielt das Vieh nun schon nahezu für abgerichtet und verband mit ihm eine äußerst nahrhafte Zukunft. Routiniert entnahm er ihm mit der Linken den Fisch, einen etwas mickrigen Barsch diesmal, aber bitte, man soll nicht undankbar sein. Gleichzeitig faßte er mit der Rechten die Leine so kurz, daß der Kormoran nicht jetzt schon wieder das Weite respektive das nächste Opfer suchen konnte. Er übergab Lehrling Zehner (»zu treuen Händen, Junge«) den Fang und goß seinem neuen Freund das Wasser über, mehr eigentlich an den Kopf. Dabei sagte er bedeutungsvoll: »Ick taufe dich hiermit Jimmy. Haste jehört – Jimmy!« Der Kormoran schüttelte sich und flatterte erschrocken mit den Flügeln, schaffte es aber
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