Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
da zeigte sich über ihm etwas Großes Dunkles, ein Adler. Geduldig kreiste der. Peter schrie, um ihn zu vertreiben, aber der Adler ignorierte das Menschlein da unten konsequent. Peter hörte auf zu brüllen. Stumm verfolgte er, wie Jimmy wieder auftauchte und von dem Räuber gepackt wurde. Jimmy schlug wie wild um sich, und tatsächlich gelang es ihm, sich zu befreien und wieder unterzutauchen. Der Adler aber gab nicht auf, er kreiste erneut, er wußte, sein Opfer konnte nicht ewig unter Wasser bleiben. Nach etwa zwei Minuten ließ sich Jimmy notgedrungen wieder blicken. Er war nun schon entkäftet. Seine nassen schweren Flügel hinderten ihn an der Flucht. Erneut wurde er gepackt; und jetzt ließ der Adler ihn nicht mehr los. Er wollte mit seiner Beute in Richtung Ufer, der Greifvogel, merkte wohl aber, etwas war anders als sonst, er kam ja nur bis zu einem bestimmten Punkt, es war das Seil natürlich, von dem nun auch er aufgehalten wurde, er zerrte wie verrückt an dem angebundenen Jimmy und drohte ihn mit seinen Klauen zu zerreißen. Peter Schott mochte das nicht mehr mit ansehen. Er durchtrennte das Seil mit einem Küchenmesser. Jäh schoß der Adler mit seiner Beute weg.
    Die anderen, die nach Peter Schotts Ausruf an die Reling gelaufen waren, sahen Peter ungeachtet der zwiespältigen Haltung, mit der sie in den letzten Wochen seine Aktivitäten verfolgt hatten, mit aufrichtiger Traurigkeit an. Das war aber wirklich kein schönes Ende! Das hatten weder Jimmy noch Peter verdient! Und Peter war auch windelweich vor Gram, man sagt ja, Gram verhärte den Menschen, doch bei ihm waren aus den markanten Falten im Gesicht seltsam glänzende und auch zitternde Strichelchen geworden. Er würde doch nicht anfangen zu weinen?
    Er schaute demonstrativ gen Himmel, in dem er Jimmy nun für alle Zeiten verortete, gab sich einen Ruck und sagte mit fester Stimme: »Ditt war heldenhaft, mein Freund. Hast jut jegenjehalten. Konntste nüscht machen im Endeffekt. Is unjefähr so, als wennwa jegen BFC spielen, die Scheißa. Hammwa ooch keene Schanks. Kopf hoch, würdick sagen, wennde noch een hättest!«
    *
    Aus dem Romanmanuskript »Das verschlossene Kind«: 2. Kapitel:
    »Auf die weiße Tischdecke?« entfuhr es mir. Es muß Entsetzen in meiner Stimme gelegen haben, denn Vestis, der unmittelbar neben mir ging, wich einen Schritt zur Seite.
    »Auf die weiße Tischdecke«, bestätigte er. »Zu jeder Mahlzeit wird eine neue aufgezogen. Wir müssen uns zu dritt daransetzen und immer gemeinsam essen, das besagt die Regel. Wir haben sogar einen eigenen Koch. In dieser Hinsicht soll es dem jungen Herrn an nichts fehlen. Er kriegt auch jeden Tag einen Liter Wein, und er trinkt ihn bis auf den letzten Tropfen, und wehe …«
    »Aber er ist erst neun Jahre!« wandte ich bestürzt ein.
    »Ja, neun … aber wehe, Gomus versucht, ihm den Wein abspenstig zu machen, dann kommt es jedesmal zum Handgemenge, und oft genug stürzt der Wein herunter.«
    »Euch steht keiner zu?«
    Vestis bejahte. Mir schoß der Gedanke durch den Kopf, der Oberste hege doch warmherzige und vielleicht sogar väterliche Gefühle Antonio gegenüber, oder warum sollte er ihn wie einen Fürsten mit Speis und Trank versorgen? Doch schon einen Moment später wußte ich es besser: Er umhegte ihn, er baute einem möglichen Verfall von Antonios Körper vor, um Antonio die seelischen Qualen nur um so mehr spüren zu lassen. Ich ahnte, daß es ihn auf besondere Weise befriedigen mußte, nicht jemanden mit schon welkem Leib, sondern einen scheinbar Kräftigen und sogar immer kräftiger Werdenden in die Verzweiflung zu treiben; und ich ahnte auch, daß er sich, wenn er es denn überhaupt nötig hatte, mit dieser großzügigen Bereitstellung jeder erwünschten und unerwünschten Nahrung selbst Absolution erteilte: Ich gebe Antonio doch alles, was er braucht, um heranzuwachsen, mochte der Oberste sich sagen, allein seine Schuld, wenn er verfällt, nicht meine.
    Vestis riß mich aus meinen Gedanken, indem er unterwürfig sagte: »Herr Magister, Sie sollen wissen, meine ganze Hoffnung ist mit Ihrer Person verbunden. Wie habe ich Ihrer Ankunft entgegengefiebert!«
    Mir entfuhr ein überraschter Laut, ein Laut, in dem Resignation und Abwehr lagen, aber Vestis ließ sich nicht beirren: »Wenn Sie nun jeden Vormittag mit dem jungen Herrn reden, so wird, allein durch Ihre Worte, endlich frische Luft in die Zelle gelangen. Auch wir anderen werden ohne Zweifel aufleben. Wir werden atmen und

Weitere Kostenlose Bücher