Brüder und Schwestern
Geheimnis?«
»Eigentlich ja. Ich hatte mir vorgenommen, niemandem davon zu erzählen, bis es nicht fertig ist, nicht einmal dir.«
Britta hakte trotzdem nach: »Also ein Etwas, das noch nicht fertig ist, dir aber jetzt schon hilft, diese Dame zu vergessen, ja?«
»Hm. Wobei ich nicht wußte, daß es mir hilft, weil es gewissermaßen für sie gedacht war und ursprünglich auch von ihr ausgegangen ist.«
»Bruderherz, ich verstehe nur Bahnhof.«
»Genauso, wie es mir vorhin gegangen ist. Du hast auch von einem Etwas gesprochen – und zwar von einem, das es noch gar nicht gibt. Das war nicht weniger nebulös.
»Mit einem Unterschied«, rief Britta sofort. »Ich habe dir gezeigt, was es ist. Also, kein Verstecken, jetzt bist du an der Reihe.«
»Das ist der Abend der Enthüllungen«, sagte Matti. Dann schwieg er erst einmal. Schließlich sagte er: »Ich erzähle dir alles, soweit es sich erzählen läßt. Aber vorher erzählst du mir zu Ende. Wir sind ja von den Tüchern abgekommen, und ich möchte schon noch einiges wissen. Zum Beispiel, wie sich die Nummer von vorhin nennt.«
Britta lachte leise: »Gar nicht nennt sie sich. Wie gesagt, es gibt sie ja überhaupt noch nicht.«
»Wie – soll das heißen, niemand auf der ganzen Welt hat je so etwas gezeigt?«
Britta nickte eifrig.
»Dann bist du die Erfinderin?«
»Kann man so sagen.« Sie platzte fast vor Stolz.
»Und ich hatte gedacht, mit dem Noch-nicht-Geben wäre gemeint gewesen, daß du die Übung noch nicht fertig hast.«
»Sie ist auch noch nicht fertig. Es hakt noch da und dort, das hast du nur nicht gesehen. Und in diesem Zusammenhang möchte ich dich auch um eines bitten, Matti: Verrate keinem, wirklich keinem, was du gesehen hast! Ich muß mich darauf verlassen können, daß du schweigst. Niemand außerhalb des Zirkus soll erfahren, woran ich arbeite. Denk nur, Devantier hat hier sogar jeden einzelnen Mitarbeiter ein Papier unterschreiben lassen mit der Verpflichtung, Stillschweigen zu bewahren. Damit hat er mir übrigens erst die Augen geöffnet, wie wichtig ihm die Nummer ist und wie viel er sich davon erhofft. Er sagt das zwar nicht, aber ich spüre genau, was er denkt: daß es eine Sensation werden wird, die dem ganzen Zirkus zur Berühmtheit verhelfen könnte. Das einzige, was er zu mir sagt, ist, ich solle in Ruhe weiterüben, weil es Blödsinn wäre, jetzt, mitten in der Saison, damit herauszukommen. Er meint, der Effekt wäre zu gering. Er will mit einem Paukenschlag die neue Saison beginnen.«
»Mein Schwesterlein sorgt für einen Paukenschlag«, sagte Matti stolz.
Aber Britta wischte mit der Hand durch die Luft und sagte: »Hör auf, ich darf gar nicht daran denken, sonst bin ich jetzt schon aufgeregt. Ich werde vor Angst sterben, wenn es soweit ist.«
War es dieser Gedanke oder war es die aufziehende Kälte, jedenfalls begann Britta zu frösteln. Sie sprang auf, um sich einen Pullover aus dem Wagen zu holen, nicht ohne Matti zu sagen: »Wenn ich wiederkomme, bist du dran. Du glaubst gar nicht, wie gespannt ich bin.«
Matti blieb sitzen, und während er überlegte, wie er anfangen sollte, gewahrte er eine Gestalt, die sich ihm näherte. Wenige Augenblicke später erkannte er den Großen Leonelli, aber er erkannte ihn nicht am Gang oder am Gesicht, sondern an der Peitsche, die Leonelli mit sich führte. Der Dompteur seinerseits bemerkte nun Matti. Schnell bog er nach rechts ab, wo die Ställe lagen. Ist das nicht sonderbar? fragte sich Matti. War Leonelli samt seiner Peitsche nicht schon nach der Vorführung auf Brittas Wagen zugesteuert und war abgedreht, kaum daß er mich entdeckt hatte? Und jetzt schon wieder …
*
Als Britta, mit einem karminroten Pullover bekleidet, wieder neben ihm saß, berichtete Matti ihr von Leonellis zweimaligem Aufkreuzen und fragte sie, was das zu bedeuten habe, aber sie wiegelte ab: »Ach, Leonelli – der ist doch jetzt ganz unwichtig. Ich möchte jetzt endlich von deinem Etwas hören. So war es ja auch ausgemacht. Also erzähl mir, los!« Sie beugte sich zu Matti und rubbelte mit der Stirn an seiner Schläfe.
Matti drückte sie mit seinem Kopf sanft weg und sagte: »Das haben wir ausgemacht, stimmt. Deshalb ohne große Vorrede: Ich schreibe einen Roman!«
»Du schreibst einen Roman«, wiederholte Britta verblüfft.
»Ja«, wiederholte Matti, »er fußt auf einer Idee von Dostojewski, das heißt, Dostojewski hat die Idee kurz skizziert, sie dann aber aus Gründen, über die man nichts weiß,
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