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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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nicht verwirklicht. Ein bißchen, nur ein kleines bißchen davon findet sich im Idioten , in der Figur des Fürsten Myschkin.«
    »Habe ich nicht gelesen«, unterbrach Britta ihn.
    »Hm«, brummte Matti, das konnte ›macht doch nichts‹ heißen und genausogut ›solltest du aber‹.
    »Ja, du hast, mit dem Kopf zur Schorba, immer auf der Wiese gelegen und gelesen, ich habe es noch vor Augen«, erinnerte sich Britta.
    »Aber nicht den Idioten. Den habe ich erst gelesen, nachdem die tolle Dame, wie du sie immer abfällig nennst …«
    »Ich mag sie nun mal nicht! Ich halte sie für abgrundtief verlogen!«
    »Sie ist nicht verlogen! Schon gar nicht abgrundtief! Sie hat nicht mehr weitergewußt, sie war am Ende, deshalb wollte sie weg.«
    Britta hob beschwichtigend die Hand. »Gut, wenn du meinst. Ich werde sie nicht wieder so nennen, ich will nicht, daß wir uns ihretwegen streiten, in Ordnung?«
    Matti nickte, sprach aber nicht weiter, sei es, weil er in diesem Moment trotzig war, oder sei es, weil Britta ihn aus dem Konzept gebracht hatte.
    »Also Karin Werth hat was getan?«
    Da begann Matti, Britta ausführlich von dem Tag zu erzählen, an dem sie zusammengewesen waren: Wie Karin ihm aus dem Frakturschriftbuch vorgelesen und er von der Existenz des eingekerkerten Iwan Antonowitsch erfahren hatte, wie sie, erschreckend matt, sagte, daraus ließe sich ein wunderbares doppelbödiges Aufsatzthema machen, und wie er, nicht ganz ehrlich, denn ihm stand doch gerade der Sinn nach was ganz anderem, rief, daß er es am liebsten gleich in Angriff nehmen würde, ihr Thema.
    »Was – und so lange schreibst du schon daran?« fragte Britta entsetzt.
    Matti lachte. »Nicht so lange. Vielleicht seit einem halben Jahr, an meinen freien Tagen. Du weißt doch, nach zwanzig Tagen auf dem Schiff habe ich immer zehn Tage frei, das ist der Rhythmus, und in dem schreibe ich.«
    »Und wieso seit einem halben Jahr? Gab es einen Anlaß, ausgerechnet da zu beginnen?«
    »Nicht daß ich wüßte, nein. Es hat sich wie von selbst so entwickelt. Ursprünglich, das sagte ich ja schon, hing es nur mit Karin Werth zusammen. Ich habe sie vielleicht noch stärker vermißt, als du befürchtest. Jeden Morgen mußte ich an sie denken, es war immer am frühen Morgen, vor dem Aufstehen, ich bin gar nicht hochgekommen aus dem Bett. Und das ging bestimmt zwei Jahre so. Immer wieder habe ich die wenigen Stunden heraufbeschworen, die wir zusammengewesen sind, und geradezu zwangsläufig mußte ich dabei auch an ihr Aufsatzthema denken. Eigentlich weniger an das Thema selber als an die Art, wie sie es hervorgebracht hat. An ihr erschöpftes Gesicht und ihre resignierten Gesten. Aber irgendwann hatte ich das Thema dann pur vor mir, und mir kam die Idee, ihr den Aufsatz zu schreiben – ihr den Stoff zu liefern, den sie so gern haben wollte. Trotzdem rührte ich zunächst keinen Finger. Was für eine fixe Idee, dachte ich. Sie schien mir sogar lächerlich, eine verrückte, sinnlose Ausgeburt meiner dauernden Gedanken an Karin. Aber mit der Zeit fand ich die Idee immer weniger absurd. Je länger ich über sie nachdachte, um so schlüssiger wurde sie mir und um so mehr Lust bekam ich, sie in die Tat umzusetzen. Und eines Tages habe ich dann einfach angefangen. … Außerdem war da aber noch etwas, das mich zum Losschreiben gebracht hat, etwas, das ich erst gar nicht begreifen konnte. Ein Gefühl wie Langeweile war das – ich sage bewußt wie Langeweile, weil das Wort jenes Gefühl nicht ganz trifft. Mir ist, besonders an den freien Tagen, als herrsche in meinem Leben ein ungeheurer Stillstand, aber die Wahrheit ist, daß ich an meinen freien Tagen nur mehr Zeit habe, über den Stillstand nachzudenken. Stillstand herrscht nämlich, während wir fahren, auch auf dem Schiff, und überall – verstehst du, was ich meine?«
    Britta schüttelte den Kopf. Es war ihr ein Rätsel, was er meinte, zumal er ihr immer wieder Geschichten erzählte, in denen irgendwas los war auf der »Barby«.
    »Du mußt das doch hier im Zirkus auch mitkriegen«, rief Matti. »Nichts funktioniert da draußen, aber nirgendwo lehnt sich jemand auf, alle werden immer lethargischer – das merkst du nicht? Ihr kommt doch mit dem Zirkus sogar noch mehr herum als wir mit dem Schiff!«
    »Du hast eine Art! Du nagelst einen plötzlich an die Wand. Natürlich merke ich es. Natürlich spüren wir es. Aber soll ich dir was sagen? Du bist auf einem Schiff, aber ich – bin in einem Raumschiff. Wir starten

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