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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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noch im Hause gewesen war. Und auch später, während seiner Besuche, deutete nichts auf größere Verstimmungen hin, im Gegenteil, Ruth wirkte immer aufgeräumt, manchmal sogar überschäumend, oder nicht? Und außerdem, wenn sie den Verlust ihres Eheringes derart bejammerte, so war das ja wohl nichts anderes als ein Ausdruck ihrer Liebe zu Willy. Ein Liebesschub, wie er, Matti, ihn nur zu gut kannte.
    Willy wandte sich an Erik: »Sie war nicht krank in dem Sinne, wie du wahrscheinlich vermutest. Sie hatte keine körperlichen Schmerzen. Ruths Schmerzen waren ausschließlich seelischer Natur, basierten aber zweifelsohne darauf, daß ihr Körper einmal schwer verwundet worden ist.«
    »Wann? Wie schwer verwundet?« brach es wieder aus Erik heraus.
    »Das war … das war lange vor eurer Geburt«, antwortete Willy mit einem Zögern, das er bewußt in seine Rede einbaute. Ihr Gespräch lief jetzt genau in die Richtung, in die er es hatte lenken wollen, aber er versuchte den Eindruck zu vermeiden, es fiele ihm nun leicht, auf die Fragen seiner Kinder zu antworten. »1945 war es, an einem Frühlingstag. Mehrere Männer sind … sind in ihren Körper eingedrungen. Freunde. Das war die Verwundung.«
    Man schwieg, dann wagte Britta zu fragen: »Freunde?«
    » Die Freunde .« Willy schaute seine Tochter schmerzvoll an.
    »Aber wieso erfahren wir erst jetzt davon – jetzt, da Ruth tot ist?« Erik blickte Willy vorwurfsvoll an.
    »Weil Ruth mir untersagt hat, darüber zu sprechen … nicht wortwörtlich untersagt, aber keinen Zweifel daran gelassen … das hat sie. Es war darüber nicht mit ihr zu reden. Zwischen uns hat in dieser Hinsicht komplettes Schweigen geherrscht. Und stellt euch vor: Als ich die Sache dann einmal zur Sprache brachte, da wurde es erst richtig schlimm, da verkroch sich Ruth regelrecht. Heute scheint mir, als habe in jenem Moment die Misere erst richtig begonnen. Ruth hat sich fürchterlich geschämt vor mir, diesen Eindruck hatte ich.«
    »Geschämt, nur weil du es einmal erwähnt hast?« fragte Matti verständnislos.
    »Ach was, sie war doch davon ausgegangen, ich wüßte gar nichts von dieser … Vergewaltigung. Sie hatte sich damals nur Rudi anvertraut und ihn zum Stillschweigen verpflichtet. Und lange, lange hat sich euer Großvater auch daran gehalten. Aber auf dem Sterbebett hat er’s mir doch erzählt. Er konnte einfach das Wasser nicht mehr halten. Manchmal denke ich, wenn er bis zum Ende geschwiegen hätte, wäre alles nicht so schlimm gekommen. Denn noch einmal, erst als Ruth erfuhr, daß ich von der Schändung wußte, zog sie sich vollkommen zurück, wie in ein Schneckenhaus.« Je länger Willy geredet hatte, um so stärker hatte er sich mit seinen Worten identifiziert, und nun dachte er nur noch an die Vergewaltigung und nicht mehr an seinen eigenen Anteil an Ruths Unglück.
    »Vor wem zog sie sich zurück? Vor dir?« fragte Matti.
    »Auch vor mir.« Willy spitzte seinen Mund und stierte vor sich hin, als quäle ihn die Erinnerung. Und das tat sie in diesem Moment auch wirklich. Er erinnerte sich erbittert seiner vergeblichen Versuche, Ruth wieder leibhaftig näherzukommen, und auf sein Gesicht trat ein harter Zug.
    Den Erik deutlicher erkannte und stärker mißbilligte als die anderen Geschwister. Eine unselige Vergangenheit schien ihm in diesem harten Zug auf, eine, von der er nichts wußte. War das Familienleben während seiner Kindheit und Jugend nicht immer harmonisch gewesen? Und hatte ihm, Erik, diese Harmonie nicht den größten Halt gegeben? Und nun Ruths Selbstmord, und nun Willys Reaktion. Die ganze Harmonie wurde dadurch nachträglich in Frage gestellt. Hatte sie in Wahrheit vielleicht niemals existiert? Allein der Gedanke quälte Erik, und so platzte es aus ihm heraus: »Nichts war, wie es uns erschien, nichts! Wenn man es richtig bedenkt, ist uns die ganze Zeit über von euch was vorgespielt worden. Unser ganzes bisheriges Leben! Wir sollten immer ehrlich und wahrhaftig sein, das ist uns von euch mitgegeben worden, aber selber, selber habt ihr es nicht eingehalten!« Anklagend schaute er Willy an und wiederholte: »Nicht eingehalten!«
    »Was sollten wir denn tun?« rief Willy. »Es betraf doch nicht euch. Es betraf eigentlich nur Ruth. Es war einzig und allein ihr Problem … ursprünglich. Und überhaupt, überhaupt, was sollen die Vorwürfe? Du redest ja wie sonst dein Bruder, nur daß es gerade heute völlig fehl am Platze ist.« Willy schaute gehetzt zu Matti.
    Der senkte

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