Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
Matti löffelten es stumm in sich hinein. Heiner Jagielka verfeinerte es mit ein paar Spritzern »Goldkrone«. Clara Felgentreu murmelte betonungslos wie eine Gläubige beim Tischgebet: »Gute Zeiten bringen das Gute im Menschen zum Vorschein. Wir aber leben in schlechter Zeit, in schlechter.« Sie suchte Achims Arm und tätschelte ihn mitleidig, ich, bedeutete das wohl, werde bald von der Bildfläche verschwinden, du aber, mein Sohn, wirst bleiben und dich weiter herumquälen müssen.
    Willy sah und hörte das alles nicht. Kaum war Bernhard aus dem Gewölbe gestürmt, hatte er es ebenfalls verlassen und war seinem Bruder nachgerannt, vergeblich: Er sah nur noch das glutrote Aufflammen der Bremslichter am Ende des Marktplatzes, von wo Bernhard, sofort wieder Gas gebend, in die Färbergasse bog. Breitbeinig stand Willy vorm Eingang des Gasthofes, die Arme in die Seiten gestemmt, noch immer kraftvoll, wie es schien, ganz so, wie er im »Aufbruch« die Produktion steuerte, und so, wie er sommers seine 250er Jawa emporriß, wie er sie heulen und brüllen ließ. Einen Moment überlegte er, ob er nach Hause laufen, sich auf sie schwingen und Bernhard hinterherrasen sollte. Aber er hatte sie längst winterfest gemacht. Ummantelt und verschnürt stand sie im Offenstall im unteren Teil des Gartens. Nein, er würde seinen Bruder nicht mehr erreichen, würde ihn vielleicht nie mehr wiedersehen, denn Bernhard war zu stur, um noch einmal hierher zu kommen; und er, wie sollte er je zu ihm nach Bayern gelangen? Auf einmal begriff er, daß eine grundsätzliche Unentschlossenheit sich seiner bemächtigt hatte, ein Zögern, das er weder bei Rudi noch bei Bernhard je beobachtet hatte und das auch ihm bisher fremd gewesen war. Alles sprach gegen dieses Zögern – und doch war es nun da. Und daß es da war, hatte seinen Bruder mehr als alles andere enttäuscht, durch genau jenes Nichtstun hatte er, Willy, ihn davongetrieben, nicht Rabe in seiner Anmaßung war es gewesen, sondern er selber, oder etwa nicht?
    Der schale Geschmack in seinem Mund, und nicht vom Bier, nicht vom Bier. Willy wandte sich um und trat in den Flur der »Sonne«, der von einer ockerfarbenen, an einen alten Pinkelpott erinnernden Lampe nur notdürftig beschienen war. Geradeaus befand sich die verwaiste Rezeption des mit dem Restaurant verbundenen Hotels, links davon, hinter einem niedrigen steinernen Bogen, begann der Gastraum, rechts war eine vom Licht kaum berührte Nische, von der die Toiletten abgingen. Als Willy dort vorbeistapfte, bemerkte er eine Art Schemen, ein zitterndes und auch leicht raschelndes Gebilde. Er verharrte. Das waren, er schaute genauer hin, zwei miteinander verschmolzene Menschen. Wenn nicht alles täuschte, drückte der eine, größere, den anderen, kleineren, gegen die Wand. Langsam gewöhnte sich Willy an die Dunkelheit, er erkannte mehr als Umrisse, er sah Hände, die Wangen umfaßten, er unterschied endlich Junge und Mädchen. Und der Junge, dem die Hände gehörten, steckte jetzt etwas Langes in den Mund des Mädchens, seine Zunge war das, die Zunge. Das Mädchen wiederum schien nach ihr noch zusätzlich zu schnappen, schien sie verschlucken zu wollen wie eine Seerobbe den soeben gefangenen Fisch. Eine rasierte Schläfe kristallisierte sich heraus, ein von heller Mähne bedecktes Ohr. Willy stürzte auf die beiden zu, packte Jonas am Kragen und riß ihn von Britta weg, die Zunge war das letzte von Jonas, was noch bei Britta war, erschrocken rollte sie sich ihm hinterher.
    »Eh, was soll’n das«, rief Jonas.
    Willys Hand klatschte in sein Gesicht, so hart, daß der Kopf des Jungen zur Seite gerissen wurde.
    Britta stand an die Wand gedrückt, als wäre da noch immer jemand, der sie festnagelte. Willy beachtete sie nicht. Noch einmal holte er aus, da stieß sie sich von der Wand ab und schrie: »Laß das, hör doch auf!«
    Willy hielt mitten in der Bewegung inne, so steckte seine Hand in halber Höhe fest: Ein mit seiner Karte an die Stechuhr tretender Arbeiter war er; ein seine Schnur ergreifender Angler; ein von der Tribüne grüßender Parteiführer. Dann ließ er seine Pranke fallen, und wie um seine Entgleisung in eine halbwegs normale Handlung münden zu lassen, in keine neuerlich rabiate, aber eben auch in keine demütige, bedeutete er Jonas mit einer Kopfbewegung, nun aber schleunigst, hopp hopp, Freundchen, die Runde drinnen im Gewölbe wieder mit seiner Anwesenheit zu beehren.
    Jonas schlingerte bedenklich vor Willy her. War

Weitere Kostenlose Bücher