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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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eine Wippe sprang, bis ihm die beulige Blechbüchse, die er unter allerlei Verrenkungen und Beschwörungen immer wieder auf die andere Brettseite stellte, endlich an den Schädel flog, »an die Bonje«, wie da und dort im Publikum gelacht wurde; und der versierte Nachfolger Marty Handys, der gleich jene Wippe benutzte und, in die Höhe gestampft von einer etwas korpulenten Assistentin, durch die Luft flog während seiner Keulenjonglage – alles das entschwand ihm schon in dem Moment, da es geschah, alles teilte sich vor seinen Augen und floß zu den Seiten hin weg, und in der Mitte sah er, deutlicher und deutlicher hervorgehoben, Britta, wie sie sich Kolophonium auf die Hände schüttete und Alkohol und wie sie sich dehnte und streckte; und unterm Beifall des Publikums, einem landregenartig gemessenen, und unterm Täterätä der Kapelle, einem ohrfeigenhaft schallenden, hörte er das Knacken ihrer Gelenke und bekam plötzlich Angst, ihr könne irgendein Muskel reißen, sie war doch keine gelernte Akrobatin, sie hatte sich doch nicht von klein auf gebogen und verrenkt, oder es riß ihr der Geduldsfaden während ihrer Übung, und sie verhedderte sich in ihren Tüchern, herrje, sie war ihm eben so übermotiviert erschienen, hoffentlich verpatzte sie nicht alles.
    Catherine fühlte wohl Ähnliches, denn sie strich sich alle paar Sekunden ihre Haare hinter die Ohren, und ließ sie ihre Haare mal in Ruhe, fummelte sie mit Daumen und Zeigefinger am Ohrläppchen.
    Es brach die Zeit unmittelbar vor der Pause an, in der es bislang immer häßlich zugegangen war, unvergeßlich häßlich dank Mona und Jona, da wurden auf einmal sämtliche Lichter gelöscht. Sieben oder acht Sekunden blieb es stockdunkel. Im Parkett zog Stille ein, nur da und dort knarrte ein Holzstuhl. Auf Mattis Hand schoben sich fünf schmale Gletscherzungen, Catherines Finger. Ein Scheinwerfer blendete auf und erhellte mit einem Schlag die »Strombolis«, eigentlich fünf Mann waren das, ein Gitarrist, ein Trommler, ein Keyborder und zwei Trompeter – aber in diesem Moment waren sie von drei Geigern flankiert, um Gottes willen, von Geigern: Matti ängstigte sich jetzt, alles könne verpatzt werden, weil es zu kitschig geriet.
    Der Scheinwerferstrahl schwenkte zur Manegenmitte. Und siehe, dort hingen jene zwei Tücher, die Matti schon kannte, das bordeauxrote und das goldgelbe. Sie fielen aber nicht lang und glatt nebeneinander herab, sie sahen aus wie zugenäht und wiesen in der Mitte eine längliche Rundung auf. Man meinte, da hinge eine unbekannte reife Frucht. Und diese Frucht, sie bewegte sich nicht. Die Geiger spielten einen gleichbleibenden leisen Ton. Dann schlitzte langsam, von unten nach oben, etwas Weißes das Gebilde auf, Brittas bloßer Fuß, dazu sirrte die E-Gitarre was Rasierklingenartiges in die Luft; nein, nicht kitschig, gefährlich und bedrohlich war das alles. Britta zeigte das Bein zum Fuß, es steckte in hautengem schwarzem Stoff. Starr ragte es aus der Frucht heraus. Und unvermittelt stürzte es hinab, vier oder fünf Meter in einem Rutsch, wobei die Geigen offenbarten, daß sie aufs schrillste sägen konnten, einen Baumstamm durch.
    Das Publikum schrie mit einer einzigen hohen Stimme auf.
    Brittas Bein hing nun knapp über der Erde, hing angewinkelt wie ein halb zerbrochener Ast aus dem Vorhang. Aus der Kabine, die das plötzlich war. Aus dem Fahrstuhl: Langsam bewegte der sich wieder aufwärts, höher, als er zuvor gewesen war. Und oben, wo es nicht mehr weiterging, öffnete er sich einen Spalt, und Britta trat auf eine Weise heraus, die erkennen ließ, daß ihr das Schwarz in einem Guß bis an den Hals reichte. Auf dem Hals aber schien kein Kopf zu sitzen. Sie vollführte, ihn verborgen haltend, einen Spagat, in Schüben spreizte sie die Beine, in Stößen, die aus den beiden Trompeten kamen. Man sah die Kuhlen an den Seiten ihrer Pobacken, im scharfen Strahl jenes einzigen Scheinwerfers erinnerten sie an Nischen, die jemand in Marmor gehauen hatte, Nischen, die man unwillkürlich abtasten wollte. Aber nichts da. Aus dem mitten in der Dunkelheit hängenden Torso wurde nun die ganze Britta, sie richtete sich zu voller Größe auf und offenbarte endlich auch ihr Gesicht. Es war frei von Haaren, sie hatte sie alle nach hinten gebunden. Weiß saß es auf dem schwarzen Ganzkörperanzug, wie der Mond auf der Nacht. Es begann langsam zu wandern, das Mondgesicht, auf kosmischen Wellen, die das Keybord herüberschickte, Britta zog sich mit

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