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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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daß sie in Wahrheit gesehen wird, auf sich aufmerksam machen irgendwie, und gerät dabei unweigerlich in eine stille Wut. Oder man zeigt ihr, daß man sie sieht, und steckt die Hände erst recht in die Hosentaschen und rührt sich nicht von der Stelle, auch nicht angenehmer für diese Person, die hat ja dann gewissermaßen anzutreten vor einem, als wäre sie eine Untergebene. Man kann aber, wie sie so auf einen zuzögert mit ihrem Kindchen, auch leise zu seiner famosen Begleiterin sagen, »gib mal«, dann hat man plötzlich dieses Plastevieh in den Händen und muß die Hände, die nicht mehr in die Hosentaschen passen, wegen des Viehs hinterm Rücken verstecken, und weil es doch recht unbequem ist, so zu stehen, bewegt man sich der Einfachheit halber ein paar Schritte voran und wird beinahe gegen den eigenen Willen zum Empfangskomitee, und die Person, die damit nie und nimmer gerechnet hat, ist nur perplex und schaut verlegen auf den Kleinen neben sich, den sie an seiner hochgestreckten Hand hält.
    Und Matti, tja, der bückte sich zu dem Kindchen runter, wobei er ein bißchen ächzte, als wär er schon ein ganz ganz alter Mann. Er holte das Nashorn hinterm Rücken vor und übergab es Wiktor mit den überragenden Worten: »Bitteschön, da doch hier Zirkus ist, du … du kleiner Naseweis.« Und er strahlte Wiktor an, weil man den einfach anstrahlen mußte, wie der so reinschaute in einen mit seinen großen klaren Augen, hinter denen sich noch nichts abgelagert hatte, noch kein trübes Wissen und noch keine dunkle Meinung, nicht der ganze Erfahrungsschrott, der auch ihm mal die Gucklöcher verdrecken würde, mehr oder weniger, früher oder später.
    Und Wiktor hielt nun das Nashorn, dessen Rollen gerade so in seine Handflächen passten, und besah es sich voller Neugier, wie sollte er da hören, daß seine Mutter von irgendwo knapp unter den Wolken, wo sich ihr Kopf befand, zu ihm runterflüsterte, »danke, Wiktor«.
    »Sag danke, Wiktor«, sagte sie lauter, aber ehe er dazu kam, wieder nichts zu sagen, war Catherine unten bei ihm, machte die Schnur los, die um das Nashorn gewickelt gewesen war, und sagte, »na stell doch mal hin«. Dieser Weisung folgte er anstandslos. Und er nahm auch brav die Schnur, die Catherine ihm hinhielt, und stiefelte los, mit verdrehtem Oberkörper und verrenktem Kopf, denn er wollte natürlich sehen, ob das Tier ihm folgte; alle beobachteten, wie er herumstiefelte in seiner Selbstvergessenheit und seinem fast schon wissenschaftlichen Ernst, nur er und das Nashorn waren noch auf der Welt, und sämtliche andere Wesen waren weiß der Geier wo, da stolperte er über seine eigenen Beine und fiel in den Splitt, mit dem der Platz ausgelegt war.
    »Wiktor«, kreischte Carla, als hätt’s ihn von einem Karussell geschleudert, und wie Wiktor das hörte, stellte er zeitlupenhaft seine Gesichtszüge auf Plärrmodus, alle konnten zugucken, wie sie sich verzogen und verzerrten. Catherine aber, Catherine fand, das sei ja nun kein sonderlich tiefer Fall gewesen, im Grunde nur ein eiliges Hinlegen, und bewegte sich gelassen zu ihm und topfte ihn wieder zurück auf die Füße, wobei sie in ihrer berühmten sanften Art dem noch stummen, dem in der Sekunde vor dem Greinen wie eingefrorenen Wiktor vorschlug: »Na komm, das Nashorn will bestimmt noch ein Stückchen weiter, denkst du nicht?«
    Da taute Wiktor auf und machte sich wieder auf den Weg, auf seinen Zickzackkurs.
    »So ein lieber Fratz«, rief Catherine hingerissen, als sie wieder zu Carla und Matti trat, und obgleich Matti damit absolut konform ging, meinte er nur so für sich, das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen, es dieser Verwandten derart süß in den Hintern zu schieben. Etwas barsch schlug er vor, sie sollten sich langsam zu Britta begeben, sonst werde noch die Zeit knapp.
    Sofort pflichtete Carla ihm bei. Man rief Wiktor, schob die Gitter beiseite, die zu dieser Stunde noch den Eingang versperrten, und begab sich auf die »schlechtere« Seite des Lagers, wo Britta nach wie vor kampierte; langsam, langsamer als eine Prozession näherte man sich ihrem Wagen, denn alle schauten sich immer wieder zum hinter ihnen hertrottenden Wiktor um, der sich gleichfalls dauernd umschaute, ob es noch da war, das Nashorn, mit dem er die Welt bevölkerte.
    Britta befand sich aber nicht im Wagen. Unschlüssig blieb man davor stehen. Niemand wußte etwas zu sagen. Schließlich fing Carla an zu erzählen, daß die Bäume auf der Landstraße noch weitab von

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