Brüder und Schwestern
Pasewalk schon mit Plakaten beklebt seien, auf denen Britta mit ihrer Tuchnummer als sensationelle Weltneuheit angekündigt werde. »Deine Schwester«, fügte sie, an Matti gewandt, demonstrativ stolz hinzu. Matti nickte wortlos, und Carla fragte, ob er und Catherine auch an solchen Plakaten vorbeigekommen seien auf ihrem Weg vom Bahnhof, da bestätigte Matti kurz und bündig: »Natürlich. War ein wahres Britta-Spalier bei uns.«
Jetzt läutete die Glocke, und während Carla noch wissen wollte, was denn »diese Bimmel« bedeute, kam Britta angeschossen. Sie fiel jedem um den Hals und rief, »ihr hier zusammen, hach, was für ein Bild«, sie entdeckte Wiktor und hob ihn hast-du-nicht-gesehn in die Höhe und wirbelte ihn herum, zu doll, denn er verlor sein Nashorn. Er streckte den Arm dahin, wo es lag, und forderte »runter, runter«, und sie ließ ihn, da er nun schon mal in der Luft war, wie ein Segelflugzeug gen Erde schweben und brachte ihn damit zum Juchzen, sie riß ihn, nur um ein noch stärkeres Juchzen zu hören, noch einmal nach oben und gab ihn endlich, selber juchzend, wieder frei.
Catherine berichtete Britta, sie hätten sich gerade über die vielen Plakate unterhalten, und Britta lachte sogleich auf und sprudelte hervor: »Devantier, der hat die Klebekolonne richtiggehend getriezt. ›Jeden Stromkasten und jeden Laternenpfahl, die euch vor die Latichte kommen, pappt ihr voll mit dem Zeug, ich wiederhole, jeden!‹ Das hat er gesagt, und kontrolliert hat er’s auch, stellt euch vor, er ist alles abgefahren, und das hat er noch nie gemacht, seit ich dabei bin, noch nie!«
In Brittas Augen flackerte es, und Matti und Catherine beschlich ein unangenehmes Gefühl. Britta gab doch nur vor, unbeschwert zu sein, oder? War sie nicht völlig überdreht? Irritiert schauten sie sie an.
Britta warf den Kopf in den Nacken: »Ach, nun guckt doch nicht so, ich hör ja schon auf! Aber dann – müßt ihr mich ablenken. Ja! Los! Macht einfach irgendwas, sonst sterbe ich vor Aufregung!«
Matti, Catherine und Carla blickten sich, durchaus ein einigender Vorgang, ratlos an.
»Aber du mußt doch nicht aufgeregt sein«, sagte schließlich Matti, »du mußt doch einfach nur so turnen wie damals, als es noch streng geheim war und du es mir gezeigt hast, und nichts weiter.«
Sie nickte leicht versonnen. »Damals war alles noch einfach, Matti, an unserem Enthüllungsabend. Noch nicht zu denken an all die Plakate und Erwartungen, Plakat gleich Erwartung, darauf läuft’s nämlich hinaus … aber apropos Enthüllungsabend, gibt es endlich was Neues von deinem Buch?«
»Kein Buch, das ist das Neue«, antwortete Matti.
»Warum denn das«, entfuhr es Britta, die offensichtlich mehr als jeder andere mit einer Veröffentlichung gerechnet hatte.
Matti sah sich aber außerstande, in Gegenwart Carlas eine Erklärung über seinen Text abzugeben, denn wenn er nun auch mit ihr sprach, so würde er wichtige und private Dinge doch niemals vor ihr ausbreiten können. »Nicht jetzt«, erklärte er Britta, »jetzt ist es gerade völlig unwichtig. Später vielleicht. Und außerdem, hat es nicht schon geläutet? Mußt du nicht los?«
Matti drückte die nickende Britta an sich, die anderen taten es ihm nach, und Britta sprang, umschwirrt von den besten Wünschen, behende die drei Stufen rauf in ihren Wagen. Die Schar aber bewegte sich in den Publikumsbereich, wo nun schon viele Leute kreuz und quer herumgingen. Immer wieder stießen welche mit ihren Füßen an das Nashorn, das Wiktor wie gehabt geduldig zog, manche sich danach entschuldigend, manche, als hätten sie selber Schaden genommen, das Tier oder das Kind verfluchend, bis Carla einschritt und ihn nach Art Catherines mahnte, »nun solltest du vielleicht dein Nashorn schützen, Wiktor, sieh doch mal, es kann sich gar nicht wehren, wenn du ihm nicht hilfst«, und der Junge es an sein Brüstchen preßte.
*
Während die ersten Nummern liefen, die Matti im »Devantier Circus« so oder so ähnlich alle schonmal gesehen hatte, weshalb sie ihn nicht sonderlich interessierten, geriet er Brittas wegen in immer größere Aufregung. Das bislang einzige Mal, da er sie hatte auftreten sehen, war sie ja völlig überraschend in der Manege erschienen, alles war so schnell gegangen, daß er gar keine Zeit gehabt hatte, vorher um sie zu bangen. Wie anders jetzt! Die federgeschmückten Pferde, die ihre Vorderbeine damenhaft auf der Umrandung plazierten; der Clown Beppo, der so lange unbeholfen auf
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