Brüder und Schwestern
hatte, die Plätze verließ, wankte Wiktor mehr, als daß er ging, so müde war er geworden. Carla nahm ihn mitsamt seinem Nashorn auf den Arm und erklärte Matti und Catherine: »Schade, es steht ja bestimmt noch ein tolles Fest an, aber wir müssen jetzt schnell nach Hause in die Heia, nicht?«
Sie schaute Wiktor an. Seine Augen waren von den Lidern nahezu verdeckt, braune Kastanienschlitze, über denen dicke, schwere Schalen hingen. Er schmiegte sich, ohne ein Wort herauszubringen, an seine Mutter.
Carla vollführte unschlüssig halbe Drehungen nach hier und nach da und sagte schließlich: »Eigentlich … eigentlich wollte ich ja Britta unbedingt noch gratulieren, aber wer weiß, wo sie steckt?« Fragend sah sie zu Catherine. Die mit ihren Augen die Frage an Matti weiterleitete. Brummend erbot er sich, Britta zu suchen.
Zunächst stiefelte er durch die verlassene Manege hintern Vorhang, aber da waren nur noch ein paar Mädchen, die er glaubte, gleich am Anfang auf den Pferden gesehen zu haben, sowie John Klinger, der ihn etwas unwirsch musterte.
Matti fragte ihn nach Britta, da hellte sich Klingers Miene schlagartig auf. Er rief, »du bist ihr Bruder, richtig«, und entschuldigte sich, ihn nicht gleich erkannt zu haben.
Kein Problem, erwiderte Matti, so oft seien sie sich ja noch nicht begegnet.
Klinger applaudierte sogleich, sie sei eine Sensation, seine Schwester, worauf Matti erklärte, er denke das auch, aber weil er ein Laie sei, freue es ihn natürlich umso mehr, wenn Britta von einem anerkannten Fachmann gelobt werde.
Klinger wiederholte sein Urteil und steigerte sich in einen wahren Lobesrausch hinein, in dem scheinbar sich widersprechende Worte wie »Bombe« und »Zauber« fielen; Mattis ursprüngliche Frage schien er darüber vergessen zu haben.
Matti wiederholte sie, und Klinger antwortete, das könne er leider auch nicht sagen, wo Britta stecke.
»Vielleicht schon in ihrem Wagen«, sagte Matti. Er machte sich auf, dorthin zu gehen, da zuckte Klinger zusammen. Bereits im nächsten Moment erklärte er aber höchst gleichmütig, ach, im Wagen, das glaube er nicht.
»Wieso denn nicht?«
Klinger brummte etwas von »Devantier« und »besonderer Tag« und legte Matti nahe, erstmal beim Direktor vorbeizuschauen. Matti fragte sich aber, wieso der Messerwerfer zunächst erklärt hatte, er wisse rein gar nichts, und ihn nun einigermaßen bestimmt in Richtung Devantiers zu manövrieren versuchte. Außerdem irritierte ihn, daß die Pferdemädchen sein Gespräch mit Klinger mit kaum verhohlenem Interesse verfolgt hatten. Und blitzte in ihren Gesichtern jetzt, da er an ihnen vorüberging, nicht ein ironisches Lächeln auf?
Draußen war es schon dunkel. Aus den Eingängen des Chapiteaus bleckten Lichtzungen, die im Ungefähren endeten. Matti schaute unentschlossen nach rechts, zur »besseren« Seite des Lagers, dann nach links. Plötzlich argwöhnte er, Klinger habe ihn davon abhalten wollen, in Brittas Wagen zu gehen. Unruhe ergriff ihn, und beinahe vergessene Bilder standen ihm vor Augen, die Bilder der lange zurückliegenden Attacke Marty Handys: War nicht auch diese Attacke in der Dunkelheit geschehen, unmittelbar nach einer für Britta triumphalen Vorstellung? Aber damals hatte es sich um einen völlig unerwarteten Angriff gehandelt, und jetzt geschah offenbar etwas, über das jeder hier Bescheid wußte – und das allem Anschein nach nur ihm, dem Bruder, vorenthalten werden sollte.
Er wandte sich abrupt zur linken Seite, trat über eine der Lichtzungen, strebte auf Brittas Wagen zu. Es war dunkel darin. Von den Pferdeställen drang, wie ein plötzlicher Fanfarenstoß, ein Wiehern zu ihm. Nachdem es verhallt war, hörte er aber aus dem Wagen ein Schnalzen, ein härteres und aggressiveres, als vorhin in der Manege ertönt war. Es klang – wie ein Peitschen klang das ja! Mit einemmal fiel Matti ein, wie während seines letzten Besuches der Große Leonelli mit seiner Peitsche um den Wagen herumgeschlichen war. Er würde doch nicht …?
Matti stürmte die kleine Treppe zum Wagen hoch und riß die Tür auf. Der Anblick, der sich ihm nun bot, war ein ganz anderer als befürchtet. Gleichwohl machte er Matti schaudern: Britta stand über dem bäuchlings auf ihrem Bett ausgestreckten, nur mit einer kurzen Sporthose und seiner berühmten Strickmütze bekleideten Leonelli und versetzte ihm kurze Peitschenhiebe, die er mit einem halblauten Stöhnen und Lechzen beantwortete.
Britta fuhr herum, während
Weitere Kostenlose Bücher