Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
Händen und Füßen flattrige Wolken davor und turnte auf ihnen herum, veränderte spielend deren Maße und Formen. Und wilder wurde sie mit der Zeit, sie teilte die Stoffwolken mit ihren Knien und verwrang sie zu Seilen, zwischen denen sie Rollen schlug, das waren die ersten Momente, die Matti annähernd bekannt vorkamen, etwas hatte sie also beibehalten, das, was er ›ihr Räuberisches‹ genannt hatte. Plötzlich hielt sie inne. Ein Ruf war aus der Kapelle heraus ertönt, von welchem Instrument auch immer, ein Schnalzen wie von einem im Wald verborgenen Tier. Widerstrebend begann die eben noch Räuberische, sich zu dem Ton hinzubewegen. Und ein Trommeln wurde aus dem Ton, es drängte sie nun sehr dorthin. Zu sehr, zu schnell, sie verhedderte sich, auf derart wundersame Weise, daß sie mit einemmal ihre Beine zugeknotet fand. Sie ließ sich kopfüber fallen, sie war ganz hilflos jetzt, sie war gestürzt auf dem Weg hin zu den magischen Tönen, sie baumelte wie aufgehängt. Atmete sie noch? Verwirrend schnelle und hohe Gitarrenriffs gruben sich in ihren reglosen Körper, versetzten ihn in erste Zuckungen, dann in rasende Drehungen, plötzlich waren die Knoten gelöst, und Britta sprang auf den Tüchern hinab, als hätten sie Absätze, hops, und hops, und hops. Vielleicht einen Meter über der Erde blieb sie auf den untersten Stoffvorsprüngen, die doch unerklärlicherweise eben noch die obersten gewesen waren, stehen. Und ein letzter kleiner Sprung, zurück auf den Boden der Tatsachen.
    Eine Millisekunde nach der Landung wurde ihr der Kopf in den Nacken gerissen, vom gewaltigsten Tusch, der je in Devantiers Zirkus gewütet hatte, von einem Scheppern und Donnern, welches in ganz Pasewalk und auch drumherum in Papenbeck und Stiftshof, in Rollwitz und Nieden und nicht zu vergessen in Stramehl und in Züsedom die Fensterscheiben bersten ließ, oder etwa nicht?
    Dem hatte aber Richard Devantier vorgebeugt. Kein Tusch, nicht einmal ein lauter Ton zum Finale, so war es von ihm angeordnet worden, jawohl, er wußte genau, womit diese Sensation hier abgeschlossen werden mußte: mit was ganz Leisem, mit was immer leiser Werdendem, das helfen würde, Brittas Vorführung noch lange nachwirken zu lassen. Die Geigen lieferten es. Kaum hörbar tropften ihre letzten Töne ins Sägemehl.
    Britta stand derweil regungslos. Weder breitete sie die Arme aus, noch verbeugte sie sich. Man sah nur, wie sich ihre im engen Gymnastikanzug eingezwängten Brüste hoben und senkten. Ein paar Momente klatschte niemand, so gebannt war man, dann brach der Beifall um so stärker los. Die Zuschauer erhoben sich sogar, Matti natürlich als einer der ersten, wie auch Catherine, und wie neben ihr Carla, die Wiktor in den Armen hielt und ihn fortwährend aufforderte: »Nun klatsche, Wiktor, deine Tante, Tante Britta, nun klatsche, klatsche mal!« Er tat wie geheißen, doch seine unkoordinierten Bewegungen verrieten, daß er noch nicht so oft geklatscht hatte. Schließlich machte er zwei Fäustchen und rieb sich damit die müden Augen.
    Indessen war Britta in ihrem Lichtkegel die ganze Zeit reglos geblieben. Sie wollte sich durchaus nicht verbeugen. Sie wollte, das war eindeutig, mit allen Poren ihres aufrechten Körpers diesen ungeheuren Beifall empfangen, ein wahres Aufsaugen war das, wie jeder spürte. Weshalb jeder auch immer weiterklatschte.
    Plötzlich griff sie sich, aufrecht, wie sie stand, mit einer Hand an den Hinterkopf und löste ihre streng gebundenen blonden Haare. Sie fielen ihr ungeordnet über Schulterblätter und Oberarme. Britta begann ins Publikum zu lächeln und zu lachen, und es schüttete Applaus, der war nun wirklich von einer Stärke, wie es noch nicht vorgekommen war in Pasewalk, und während Matti noch überlegte, ob jenes effektvolle Haare-Fallenlassen als nachgeschobene Pointe, als letztes und bleibendes Bild zur Nummer gehörte oder ob es sich um einen von Brittas unvermittelten Einfällen handelte, zwinkerte Britta kurz mal jemandem zu, der seine porige, kaum mehr herzeigbare Nase die ganze Zeit über aus dem Vorhang gesteckt hatte. Nicht zu Unrecht, ach, gar nicht zu Unrecht nahm da dieser Jemand, dieser alte Kerl sogleich für sich in Anspruch, ihre unübertreffliche Geste habe in Wahrheit nur ihm gegolten und sei sowieso nur ihm zu verdanken, und unüberhörbar für alle Umstehenden begann sie doch ziemlich zu schniefen, seine Nase.
    *
    Als man nach der Vorführung, die um 17 Uhr begonnen und zweieinhalb Stunden gedauert

Weitere Kostenlose Bücher