Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
war er das? Weil er den Tieren, den Bestien um sich rum seinen Willen aufgezwungen hat, in jedem Training und selbst dann, wenn er nur vorm Gitter gestanden hat, und sie waren dahinter. Manchmal haben sie dann nämlich angefangen, verrückt zu spielen und ihn anzufauchen und mit der Pranke aufs Gitter zu hauen, da hat er gewußt, er darf sich das nicht gefallen lassen. Er hat sie angebrüllt, daß es allen hier durch Mark und Bein gegangen ist, und diesen Räubern genauso. Nicht zuletzt hat er sie auch angeblitzt, ich stand ja manchmal daneben, angeblitzt mit seinen Augen, wie der zürnende Zeus. Die warten doch nur darauf, daß du ihrem Blick ausweichst, hat er gesagt, niemals darfst du klein beigeben, gerade mit den Augen nicht. Und er hat das auch niemals getan, bis heute nicht, Leonelli ist nach wie vor der Chef im Ring, uneingeschränkt. Trotzdem ist er aber einmal halb zerrissen worden von seinen Schützlingen. In meinem ersten Jahr hier ist das gewesen. Nicht durch seine Schuld, nicht dadurch, er konnte gar nichts dafür, es war einfach eine Verkettung unglücklicher Umstände. Ich will sie dir jetzt nicht auseinanderklamüsern, denn das würde zu weit führen, sondern dir über die Stunde nach dem Unfall berichten: Damals mußte ich den Großen Leonelli im Sankra begleiten, er war ja besinnungslos. Ich dachte, niemals wacht er wieder auf. Matti, er war an einigen Stellen abgenagt bis auf die Knochen, ich übertreibe nicht! Und doch ist er schon während des Transports wieder zu sich gekommen. Und gleich besah er sich, was noch vorhanden war von ihm. Ich mußte mich übergeben, weil ich es notgedrungen ebenfalls sah, und weißt du, was er getan hat? Mich beruhigt, leise auf mich eingeredet, mich gestreichelt hat er. So stark war der Große Leonelli. Unangreifbar noch im halbtoten Zustand. Aber weiter. Er war noch ganz löchrig, da ist er schon wieder rein in den Käfig. Und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen: ›Brittalein, die beißen mich jetzt nicht mehr, ist ja kaum noch was dran an mir, alles längst gefressen und verdaut von den Viechern.‹ Während andere an seiner Stelle noch auf der Intensivstation gelegen hätten, ist er schon wieder aufgetreten, erfolgreich wie eh und je. Niemand hat ihm was angemerkt, nicht die Tiere und nicht das Publikum. Und keiner von uns, keiner! Daß es nämlich doch über seine Kräfte ging, mit Bestien zu arbeiten, die ihn fast verschlungen hätten, und daß seine Anstrengungen in Wahrheit unmenschlich waren und sind. Matti, es war der blanke Zufall, daß es bemerkt wurde – von mir bemerkt. Genausogut hätte jeder andere an meiner Stelle es mitkriegen können. Folgendes passierte, ich will dir jetzt jede Einzelheit schildern, damit du mich und ihn und überhaupt alles auch wirklich verstehst: Ich komme unmittelbar nach einer Aufführung in seinen Wagen, weil irgendein Metzger, der ihm Freibankfleisch liefern sollte, nach ihm suchte. Und da liegt er mit den fürchterlichsten Zuckungen und Krämpfen auf seinem Bett, wie ein Epileptiker wälzt er sich herum. Er weint auch. Oder er weint nur; er besteht eigentlich nur aus Weinen. Ich begreife erst gar nicht, daß es ein Weinkrampf ist. Hilflos lege ich ihm die Hand auf die Brust und tätschele ihn. Und da nimmt er sie, in seinem Krampf greift er sie und haut sich damit richtig doll auf den nackten Oberkörper, wieder und wieder so doll und so derb, daß mir die Handfläche anfängt zu brennen. Ich will die Hand wegziehen, aber er läßt’s nicht zu, er schlägt sich damit immer noch kräftiger, und dabei tritt er irgendwie weg, in eine andere Sphäre, wo er ruhiger wird und sich langsam entspannt, fast wie unter Hypnose. Ja, Matti, die Hypnose von Schlägen! Ich war bestürzt und verängstigt, dem beizuwohnen, genau, du hast richtig gehört, ich war ja nur dabei, nichts kam von mir selber. Und er, er war auch grenzenlos erstaunt, als er wieder aufgetaucht ist, ich habe es an seinen Augen gesehen, erstaunt und peinlich berührt. Vielmals entschuldigt hat er sich, und ich, die ich ja keine Ahnung hatte, wie’s aussieht in ihm, habe ganz vorsichtig gefragt, was eigentlich los ist. Und da hat er mir offenbart, daß er schon seit Monaten nach jeder Aufführung derart in sich zusammenfalle, es geschehe ihm einfach, er habe sich genau so lange im Griff, wie er sich der Tiere wegen im Griff haben müsse, und dann eben nicht mehr. Was ich um Himmels willen niemandem weitererzählen solle. Darum hat er mich inständig und

Weitere Kostenlose Bücher