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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Pferdefüttern, jetzt wird es ja richtig paradox! Du schwingst die Peitsche und stellst es als karitative Aktion dar. Du tust ja fast so, als wärst du Mutter Teresa! Und das willst du nicht nur mir einreden, sondern dir selber auch. Denn wenn du selber daran glauben würdest – warum hast du dann alles vor mir verheimlicht? Erinnere dich, an dem Abend, an dem wir hier auf den Stufen gesessen haben, da ist dein Leonelli um diesen Wagen herumgeschlichen wie eine Katze um den heißen Brei. Weil er nicht drankam an dem Abend, wie ich jetzt weiß. Weil sein abartiges Bedürfnis ausnahmsweise mal nicht befriedigt werden konnte. Als ich dich aber nach ihm gefragt habe, hast du abgewiegelt. Denn in Wahrheit, in Wahrheit hast du ein schlechtes Gewissen, das ist offensichtlich.«
    »Es war mir peinlich vor dir. Deshalb wollte ich nicht, daß du irgendwas erfährst«, sagte Britta mit erstickter Stimme.
    »Und vor den anderen im Zirkus«, gab Matti zurück, »da ist es dir wohl nicht peinlich? Die wissen es alle, stimmt’s? Ich habe es heute an ihren Gesichtern abgelesen, daß sie alle seit langem Bescheid wissen. Man wollte mich vorhin sogar abhalten, hierher zu dir zu kommen, man wollte nicht, daß ich alles erfahre.«
    Britta schossen die Tränen in die Augen. »Matti … nicht … du denkst vielleicht, ich hätte mehr Vertrauen zu all diesen Menschen als zu dir, aber so ist es nicht – wirklich nicht.«
    »Und wie ist es dann?«
    »Ganz anders! Wir alle hier in diesem Zirkus sind doch aneinandergekettet. Wir können gar nicht voneinander weg. Immer sind wir zusammen, rund um die Uhr. Auf Dauer bleibt da nichts verborgen, Matti, nichts. Jeder weiß von jedem mehr, als es gut und gesund ist. Manchmal meine ich deswegen schon, in einem Gefängnis zu stecken, in einem rollenden. Immer und ewig dieselben Gestalten! Es gibt einfach kein Entkommen vor ihnen.«
    »So hast du ja noch nie geredet«, rief Matti, »das klingt ja verheerend. So großartig deine Vorführung auch gewesen ist – alles, was ich seitdem sehe und höre, ist bloß noch verheerend. Und ich dachte, du wärst glücklich hier!«
    »Das bin ich doch auch, größtenteils. Wenn ich es nicht wäre, wäre ich doch schon längst fort. Es ist nur kein reines Glück mehr, denn das reine Glück entspringt der Naivität, und ich habe hier schon zuviel erlebt, um noch naiv zu sein.«
    »Aber vorhin in der Manege, da warst du doch euphorisch, oder nicht?« Matti wollte unbedingt bestätigt kriegen, daß er nicht allzu besorgt sein müsse um sie, in einem solchen Ton erkundigte er sich.
    »Aber ja, war ich! Und jetzt bin ich noch froher, daß du endlich alles erfahren hast. Du glaubst gar nicht, wie unwohl ich mich gefühlt habe wegen des Geheimnisses … dauernd ist es so in mir herumgewabert. Wir dürfen niemals mehr Geheimnisse voreinander haben, hörst du?«
    Ihr standen wieder Tränen in den Augen, womöglich, weil sie von den eigenen Worten ergriffen war, womöglich, weil der Tag ihr tüchtig was abverlangt hatte, da klopfte es abermals an die Scheibe, ein Hämmern war das schon, und irgendwer rief, ob sie zum Lagerfeuer mit Volvo abgeholt werden wolle oder worauf sie eigentlich warte oder wie oder was.
    »Siehst du, Folter und Gefängnis«, stieß Britta schniefend und lachend hervor.
    *
    Die herüberwehende Verheißung aneinanderklirrender Flaschen. Die wohlige Wärme entfernten Stimmgewirrs. Die blitzende Helligkeit aufsteigender Funken. Und beim Nähertreten das wurmartige Kringeln glühender Zweige, und deren unregelmäßiges Knacken und die Erinnerung an Spielzeugpistolen mit Platzpatronen, und das aschige Schneegestöber rauf in den dunklen Himmel, der die aufgeregten Flocken eine nach der andern stoisch schluckt, und in Kopfhöhe das gallertartige Zittern der Luftsülze, das einen, wenn man’s länger beobachtet, wanken macht, als wäre man auf hoher See, und all die rübenartig roten Gesichter und deren beinahe nasses Glänzen …
    Jemand, der gewahrte, daß Britta von hinten aufs Feuer schaute, fing an zu klatschen. Ob alle einfielen? Schwer zu erkennen für Britta, nicht jeder Körper vor und neben ihr war ja erhellt. Aber ohne Zweifel war es ein festes und langes Prasseln, eines, das die spitzen Geräusche der in den Flammen sich windenden Äste locker übertönte. Auch hatten sich alle Kollegen, die Britta erblicken konnte, zu ihr umgedreht, da wußte sie nicht, was tun, und hob überdeutlich die Achseln und wackelte fortgesetzt mit dem Kopf;

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