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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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übermäßig angestrengt, wie es nur tumben Menschen eigen ist; alles in seiner Visage stand weit offen, einschließlich der Nasenlöcher. Endlich brachte er hervor: »Dann morgen. Aber morgen endgültig.« Nicht schwer für mich, daraus zu schließen, ich dürfe die Geduld des Obersten keinesfalls weiter strapazieren. Hatte ich auch tatsächlich gehofft, er werde ewig hinnehmen, daß ich seinen Befehl ignorierte? Schon geraume Zeit hatte ich erwartet, er werde einschreiten. Aber solange dies nicht geschehen war, hatte ich eben weiter ohne Plan mit Antonio geredet, so geredet, als existiere jener Befehl nicht.
    Widerstrebend begann ich am Abend, in der Fibel zu blättern. Dabei überlegte ich, welches der kurzen Stücke ich am nächsten Tag mit Antonio zuerst durchnehmen sollte. Aber je mehr Seiten ich überflog, um so mehr steigerte sich mein Unwillen, bis ich schließlich reinen Ekel verspürte. Was für eine verquere, nervtötende Sprache! Und die sollte ich dem Jungen nahebringen? Ließ ich mich darauf ein, würde Antonio bald selber genauso verquer und nervtötend sprechen und schreiben, das war unvermeidlich. Und das war wohl auch die Absicht des Obersten. Darauf wartete er nur, ich begriff es in jener Nacht, in der ich erstmals gezwungen war zu bedenken, was aus der Beschäftigung mit der gleichsam kastrierten Fibel für Antonio wirklich folgen würde: eine ewige Häßlichkeit, eine Art und Weise der Entäußerung, die jeden abstoßen mußte. Selbst Vestis und ich, die wir zu jener Zeit noch größtes Mitleid für Antonio empfanden, selbst wir würden ihn dereinst ablehnen, wenn er nur den Mund aufmachte. Vielleicht, wer weiß, würden wir ihn sogar erschlagen, weil wir es nicht mehr aushielten, ihm bei seinem Kauderwelsch zuzuhören – wir? Gerade wir, die an und mit ihm Gescheiterten, denn wenn der Mensch jemanden auf gar keinen Fall um sich haben mag, dann solch eine Ausgeburt seines eigenen Versagens.
    Kurz entschlossen nahm ich ein Blatt Papier und schrieb das erste Stück aus der Fibel, es handelte von Affen, so um, daß es nun auch und gerade die Buchstaben M und S enthielt. Doch wieviel Mühe kostete mich diese Arbeit! Da ich mich im Prinzip an die vorgegebenen Formulierungen hielt und nur die allzu törichten Satzteile austauschte, beraubte ich mich der Freiheit und des Genusses, nach eigenem Gusto zu fabulieren. Statt dessen wendete ich die von mir ausgewählten Ersatzwörter im Kopf hin und her. Ein jedes prüfte ich wieder und wieder auf seine Tauglichkeit, aber als ich es dann hingeschrieben hatte, war ich vom Ergebnis keineswegs angetan. Meine Sätze erschienen mir ungehobelt, beinahe so sperrig wie das ursprüngliche Material. Ich veränderte sie noch mehrmals, wiederum ohne Erfolg. Bald dröhnte mir der Kopf, die Arbeit wurde mir immer beschwerlicher; und doch sah ich mich außerstande, von ihr abzulassen. Erst der grauende Morgen rettete mich. Ich mußte nun schon zu der Insel.
    Der aufmerksame Vestis merkte mir meine Übermüdung sofort an. Wie stets wartete er vor dem Tunnel, um mich zum Haus der blitzenden Sichel zu geleiten, vor allem aber, um sich mit mir auszutauschen, ohne daß Gomus uns dabei zuhörte. »Sie sehen heute wie gerädert aus, Herr Karandasch«, sagte er mit bekümmerter Miene. Ich fuhr zusammen. Gerädert? Unwirsch erwiderte ich, er irre sich, mir stünde noch gut vor Augen, wie Meta und Salo ausgesehen hätten.
    Vestis brauchte einen Moment, um zu begreifen. Dann entschuldigte er sich mit den gemurmelten Worten: »Das habe ich nicht gewußt.«
    »Nicht gewußt«, äffte ich ihn nach. »Höre bloß auf, so gedankenlos daherzureden! Überlege dir, welche Worte du gebrauchst«, so belehrte ich ihn in schneidendem Ton. Und damit wollte ich mich in Bewegung setzen.
    Vestis aber hielt mich am Arm zurück, und was er nun sagte, und wie er es sagte, damit beschämte er mich sehr. »Herr Magister«, erklärte er ruhig und gefaßt und dennoch erkennbar alarmiert, »ich danke Ihnen für Ihren Hinweis, Sie wissen, ich bin allzeit Ihr treuer Diener und werde ihn beherzigen. Aber gerade weil ich Ihr Diener bin, fühle ich mich auch verpflichtet, Sie davor zu warnen, in der Verfassung, in der Sie sich offensichtlich befinden, vor Antonio zu treten. Und noch ausgerechnet heute, da er erstmals die Fibel vorgelegt bekommen soll. Herr Magister, was mich betrifft, so will ich jeden Tadel ertragen. Aber Antonio, ich wage Sie mit aufrichtigem und immerwährendem Respekt zu bitten, Antonio

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