Brüder und Schwestern
drei in der Tür. Carla hielt Wiktor auf dem Arm. Er hatte sein Köpfchen in ihre Halsbeuge gebettet und schlief tief und fest. Bedauernd schaute Carla drein, vorsichtig begann sie zu lächeln. Catherine dagegen, die ihr die Tür aufgestoßen hatte und nun neben Carla trat, rief: »Ihr seid vielleicht lustig! Wir stehen uns da hinten die Beine in den Bauch, und ihr sitzt hier ganz gemütlich bei Kerzenschein!« Als sie aber die verstörten und ertappten Gesichter der Geschwister bemerkte, begriff sie, daß hier, warum auch immer gerade in dieser Stunde des Brittaschen Triumphes, wohl über etwas ziemlich Ernstes gesprochen wurde, und sie fügte schnell hinzu: »Carla wollte sich auch nur verabschieden, denn es ist ja nun doch schon recht spät geworden für den Kleinen, nicht.«
»Ja«, sagte Carla, »aber vor allem wollte ich mich bei dir bedanken und dich beglückwünschen, Britta. Das war wirklich ein sensationeller Auftritt! Ich habe in einem fort gestaunt – und Wiktor natürlich auch. Also, wirklich ein wunderschöner Abend war das, nochmals vielen Dank.«
Britta umarmte sie und strich Wiktor über den Hinterkopf, Catherine jedoch, die direkt daneben stand, sah deutlich, daß Britta trotz der Zuneigung, die sie vor allem Wiktor gegenüber zeigte, gar nicht bei der Sache war. So verabschiedete auch sie sich erst einmal: »Ich bringe dann Carla noch zum Auto. Wir können uns ja später beim Lagerfeuer treffen, es ist gerade entzündet worden – oder soll ich euch hier abholen?«
Die beiden deuteten ein Kopfschütteln an.
Als sie wieder allein waren, fragte Britta: »Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, ob es mir gar nichts ausmacht. Von wegen … am Anfang habe ich sie kaum hochbekommen, die Peitsche, und der erste Schlag war einfach nur fürchterlich für mich. Dabei ging der gar nicht über eine Andeutung hinaus, ich habe meine Hand ja gleich wieder weggezogen, eigentlich war es nicht mehr als ein Kitzeln. Aber dann spielte sich doch alles ein. Es ist jetzt kein Streicheln mehr, aber es ist auch kein Wüten, es ist gerade so, daß Leonelli seinen ganzen Druck vergessen und sich fallenlassen kann. Wobei – manchmal haue ich schon kräftiger zu, aus Zorn darüber, wie er mich benutzt. Das tut er ja in Wahrheit. Ich versuche natürlich, nicht daran zu denken …«
»Aber warum denn?« unterbrach Matti sie. »Du solltest es dir erst recht vergegenwärtigen! Nicht vergessen! Zwar habe ich dir vorhin gesagt, ich würde deinen Raubtierbändiger ansatzweise verstehen, aber das ändert keinen Deut daran, daß es ungesund ist, was ihr beide da tut – vor allem für dich!«
»Raubtierbändiger«, sagte Britta lächelnd, »das Wort habe ich ja schon ewig nicht mehr gehört. Keiner hier benutzt es. Das letzte Mal, daß ich’s gehört habe, wann war das … auf der Trauerfeier unseres Großvaters, und gekommen … gekommen ist’s von der alten Felgentreu.«
Matti fand, sie schweife ab und weiche vielleicht sogar mit Absicht aus. Was soll denn jetzt das mit der alten Felgentreu? schien seine nervöse Miene zu fragen.
»Warte mal … der Raubtierbändiger … verläßt nie seinen Käfig, so oder so ähnlich hat sie’s gesagt. Erinnerst du dich nicht?«
»An dem Tag wurde viel gesagt, und er liegt ewig zurück«, sagte Matti ungeduldig.
»Ja … und komisch, daß ich mir gerade das gemerkt habe. Vielleicht, weil es mir damals völlig unverständlich gewesen ist. Sie hat es ja wohl auch auf was ganz anderes bezogen, keine Ahnung mehr, worauf. Jedenfalls ist’s interessant, wie lange manche Sachen in einem lagern, ehe man sie begreift. Auf einmal offenbaren sie sich. Na, ich finde, man muß noch im nachhinein Hochachtung vor der Felgentreu haben, die war vielleicht lebensklug, tatsächlich, das war sie.«
Matti, der meinte, Britta sei nun lange genug auf dem Spielplatz der Vergangenheit herumgeturnt, rief: »Zurück zum Kern! Es ist ungesund und unnatürlich, das weißt du genauso wie ich, aber du weichst davor aus, dir das einzugestehen, und ich frage mich, warum.«
»Weil das Ungesunde Leonelli hilft, am Laufen zu bleiben, so ist es nunmal! Letztlich erledige ich eine Arbeit zum Wohle des Zirkus, eine … eine wie Stallausmisten und Pferdefüttern. Es klingt vielleicht paradox in deinen Ohren, aber Leonelli ist in der Manege immer noch der Meister, von dem der Zirkus profitiert. Tja, und ich sorge eben dafür, daß es noch eine Weile so bleibt, nicht mehr und nicht weniger.«
»Stallausmisten und
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