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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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buchstäblich händeringend gebeten. Ja, so hat es angefangen …«
    Matti, der während dieser Erklärung unverwandt auf Britta geschaut hatte, sah aus dem Fenster. Jemand ließ die Planen vor den Chapiteaueingängen herunter, so daß nur noch Lichtspeere auf den Boden fielen, überlange helle Zahnstocher. Daraufhin wurde es im Wageninneren finster. Britta stand auf, zauberte aus der nicht ganz undurchdringlichen Schwärze einen jener klobigen Aschenbecher hervor, wie sie in jeder Mitropa-Gaststätte zu finden und zu klauen waren, stellte eine Kerze hinein und zündete sie an. Als sie sich wieder gesetzt hatte, sagte Matti halb neugierig und halb bänglich: »Und jetzt endlich zu der Peitsche.« Er holte tief Luft, wie wenn er selbst vor der Aufgabe stünde, sich zu offenbaren.
    *
    Britta nickte: »Ich komme noch dazu, hab noch ein bißchen Geduld. Erstmal ist nämlich gar nichts weiter passiert. Leonelli absolvierte seine Auftritte und ging mir ansonsten aus dem Weg. Aber mir schwante schon, daß es so nicht bleiben würde, denn er hatte doch Blut geleckt … Blut geleckt, wie das klingt in dem Zusammenhang. Und tatsächlich steht er eines Abends unmittelbar nach der Vorführung auf einmal hier in meinem Wagen und fleht mich an, ihn wieder … wieder zu vermöbeln. Ich will nicht, denn ich weiß, wenn ich das jetzt tue, dann wird es immer so weitergehen, und ich werde nie mehr rauskommen aus der Nummer. Da fällt er vor mir auf die Knie, ungelogen, Matti, auf die Knie, und sagt mit jämmerlicher Stimme, er sei verloren, wenn ich ihm nicht helfe. Und er zerrt sich auch schon die Jacke vom Leib. Und da kann ich nicht anders, als ihm zu geben, wonach es ihn verlangt, es war Mitleid, Matti, pures Mitleid. Ein paar Tage verfahren wir so – und dann kommt er plötzlich mit seiner Peitsche an. Mach’s ab jetzt mit der, bittet er. Und ich, nein, sag ich kategorisch, das kannst du nun wirklich nicht von mir verlangen, Leo, du bist doch kein Tier, das ist doch alles pervers. Als er aber das Wort pervers hört, schüttelt er gequält den Kopf, und dann stülpt er sein Innerstes nach außen und liefert mir eine lange intime Erklärung, deren Quintessenz folgende ist: Er habe sein Leben lang herrschen und bestimmen müssen, über Wesen, die eigentlich hundertmal stärker seien als er, kein Problem sei das lange Zeit gewesen, doch seit dem Angriff, bei dem ihn die Tiere ihre unbarmherzige Stärke und Überlegenheit so deutlich hätten spüren lassen, seitdem komme er sich vor wie ein Hochstapler, wie einer, der ständig über seine Verhältnisse lebe. Er zeige sich eisenhart, viel härter noch als zuvor, und habe doch fürchterliche Angst davor aufzufliegen. Und genau das sei der Punkt. Je mehr Härte er zuletzt an den Tag gelegt habe, je mehr es für ihn notwendig gewesen sei, sich als Herrscher zu präsentieren, um so dringlicher habe der Wunsch von ihm Besitz ergriffen, endlich der zu sein, als der er sich fühle, und nun seinerseits beherrscht zu werden und, so drückte er sich exakt aus, mit sich ›was machen zu lassen‹. Eine Sehnsucht nach Schwäche und Wehrlosigkeit, Matti, nach dem ihm herrlich erscheinenden Erzittern, und in dieser Sehnsucht, ich komme auf die Peitsche zurück, hat ihm meine flache Hand nicht mehr genügt. Sie war ja immer noch recht vorsichtig gewesen, mit Resten von Zartheit … aber was ist plötzlich mit dir?«
    Matti, das konnte sie trotz des spärlichen Kerzenlichts genau erkennen, war bei ihren letzten Worten stark errötet. Sehnsucht nach Schwäche, so hatte er sich nämlich erinnert, waren das, fast deckungsgleich, vor kurzem nicht seine eigenen Worte Catherine gegenüber gewesen? Und eben hatte er seine Schwester und ihren armseligen Raubtierbändiger noch verdammt. Er sagte: »Vielleicht verstehe ich deinen Leonelli … nur ein klein bißchen … denn schwach und hilflos wollen vielleicht alle mal sein, doch nur die wenigsten drücken es so seltsam und so kraß aus, bei den wenigsten wird es zur Obsession. … Aber bitte, wie kommst du denn mit der Peitsche zurecht, das sag mir jetzt endlich, das frage ich mich schon die ganze Zeit. Macht es dir denn gar nichts aus, so mit der rumzufuhrwerken?«
    Britta lachte bitter auf, da klopfte es neben ihnen an der Scheibe. Sie drückte ihre Stirn auf das Glas, um in der Dunkelheit zu erkennen, wer das war, Matti indes wußte es gleich: Das konnten nur Carla, Wiktor und Catherine sein, er hatte sie ja völlig vergessen! Und schon erschienen die

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