Brüder und Schwestern
jetzt ums Durchsetzen, immer darum, im eigenen Laden und gegenüber störrischen Autoren … sag, wirst du etwa auch störrisch sein?« Sie schaute ihn halb ironisch und halb ernsthaft an.
Im ersten Moment wollte Matti antworten, er sei doch mit seinem Geschreibsel in ihrer Hand, aber er verkniff es sich lieber, denn es erschien ihm zu devot, und devot wollte er Karin Werth gegenüber nie mehr sein.
Das werde sie schon sehen, erklärte er, das käme ganz drauf an.
*
Endlich begannen sie zu arbeiten. Karin Werth schlug vor, erst die gröberen Fehler, deren es ihrer Meinung nach zwei gab, zu beseitigen, und sich dann die kleinen Ungenauigkeiten und Nachlässigkeiten vorzuknöpfen. Sie blätterte wahllos in dem Papierstapel, und Matti sah mit Grausen, daß sie auf fast jeder Seite Anstriche gemacht hatte. Er stöhnte auf.
Karin Werth, alarmiert durch seine Bemerkung, man käme gar nicht mehr gegen sie an, zeigte sich sogleich als Sensibilität in Person. »Das ist gar nicht soviel«, sagte sie, »das kriegen wir schnell hin. Hier, nur mal als Beispiel vorab, siehst du? Das ist die Stelle, wo sich Karandasch partout nicht mit der grausligen Fibel beschäftigen mag. Er flüchtet raus aus der Wohnung, will sich beim Schuster ein neues Leimfäßchen besorgen … sehr schön übrigens, wie lapidar du viel später durchblicken lässt, daß der Oberste und seine Leute ihm das alte Fäßchen entwendet und also eine Hausdurchsuchung bei ihm gemacht hatten, sehr schön, genau so plaziert man das. Aber zum Schuster Tsiran: Ich würde dir vorschlagen, ihn namenlos zu lassen. Was nämlich suggeriert der Name? Daß sein Träger noch auf irgendeine Art wichtig würde für den Fortgang der Geschichte; man denkt, es passiere noch was zwischen Karandasch und Tsiran. Aber da denkt man falsch. Der Mann taucht nur ganz kurz auf und bleibt völlig gesichtslos. Also laß ihn auch namenlos, einverstanden? Na, siehst du, um solche Sächelchen handelt sich’s bloß …« Und sie griff nach ihrem Wasserglas, Karin Werth.
»Ich bin beeindruckt«, erklärte Matti.
Sie sah ihn prüfend an, vielleicht, weil sie argwöhnte, er könne das ironisch gemeint haben, aber als sie bei ihm Respekt und gar so etwas wie Bewunderung entdeckte, bedachte sie ihn mit einem dankbaren Blick. Beinahe streichelte sie Matti mit dem.
Nun ging es um die Hauptsache: Karin Werth erklärte, der Beginn des Textes sei schnell, ohne viel Gewese werde eine Person und eine Gegebenheit nach der anderen eingeführt, das ziehe einen rein in den Roman und reiße einen mit – aber das, genau das erweise sich im folgenden als gelindes Problem. Denn das Tempo werde leider nicht immer gehalten.
Ob es denn immer gehalten werden müsse, fragte Matti.
Aber sicher, bestätigte Karin Werth. Mit seinem Anfangstempo habe er ja eine bestimmte Erwartung beim Leser geschaffen, die er im folgenden bedienen müsse, ob er wolle oder nicht. Werde er nämlich langsamer, setze unterschwellig Enttäuschung ein; Karin Werth lachte, das sei der Fluch des strammen Aufgalopps, hätte er, Matti, zu Beginn einen anderen, gemächlicheren Erzählfluß gewählt, stünden ihm mehr Möglichkeiten offen, er könnte danach schneller werden, und wieder langsamer, und wieder schneller, Jazz hätte er schreiben können, verrücktesten Jazz, nun, sie wisse aber ziemlich genau, wie sie beide das geradebiegen könnten, und hiermit käme sie auch schon zum zweiten Grundübel, das mit dem ersten direkt zusammenhinge; sie griff ihm an den Arm, sagte erschrocken, oje, nicht Grundübel, überhaupt kein Übel, eigentlich auch nichts als eine Kleinigkeit, ob er ihr nochmal verzeihen könne?
Matti bejahte. Lehrreich sei es doch für ihn, was sie so alles ausführe, und überhaupt sei es schön, hier mit ihr zu arbeiten, er genieße das. Dabei nickte er ihr versonnen zu, aber wie Karin Werth zurückschaute, das ließ ihn schnell zu seinem Wasserglas greifen. Es war schon fast leer, er nippte Luft, und Karin Werth lächelte und schenkte ihm nach, und dann gluckste es beim Trinken in seiner Kehle beinahe so laut, als zerstoße jemand Pfeffer mit einem Mörser.
Jedenfalls, wodurch werde er langsamer? Durch Karandasch. Ein Tempoverlust ergebe sich immer dann, wenn Antonio aus dem Blickfeld gerate und der Magister, getrennt von ihm, seine eigenen Qualen, Überlegungen und Tätigkeiten ausbreite. Demzufolge böten sich Straffungen in genau jenen Passagen an. Matti solle Karandasch niemals zu lange allein laufen lassen. Bei
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