Brüder und Schwestern
Antonio solle er bleiben, bei seiner Hauptfigur.
Hier widersprach nun aber der Autor. Er erinnerte seine Lektorin daran, daß, wenn er vorhin nicht alles falsch verstanden habe, es ja wohl gerade Karandasch gewesen sei, den sie selber in ihrem Verlag zugunsten des Romans ins Feld geführt habe. Und so sehe er, Matti, das auch. Erst Karandasch verhelfe dem Ganzen zu einer gewissen Gültigkeit, beschneide man ihn, beschneide und beschädige man das gesamte Buch, oder etwa nicht?
Karin Werth überlegte, sie saß ganz starr, sie ließ ihre Zweifel kommen und kreisen. Ja, sagte sie endlich, da habe er wohl recht; aber sie, sie habe auch recht, schneller müsse es doch werden, nur hier und da, ohne daß es an des guten Karandaschs Substanz gehe. Manchmal genüge es vielleicht schon, einen Halbsatz zu streichen, sie sollten Seite für Seite die rechte Balance zu finden versuchen.
Das taten sie, darüber vergingen Stunden. Mehrmals holten sie zwischendurch frisches Wasser, und einmal kochte Karin Werth in der Küche Kaffee, was einige Zeit dauerte, denn sie mußte erst nach den Bohnen und dem Tauchsieder suchen, und Matti stand, während sie so rumorte, auf, um mal den Rücken durchzudrücken, da war ein kleiner Balkon in Kanzelform, ein Stück Kirche, das nicht weit vom Schreibtisch zu dem kleinen Park raushing, aber er gelangte nicht dorthin, unmöglich, das dazwischen sich auftürmende Büchergebirge zu übersteigen. So tapste er zu dem freigeräumten Sofa und streckte alle Glieder von sich. Und straff gestreckt lag er auch noch, als Karin Werth mit dem Kaffee erschien. Sie stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab, besah sich Matti stumm und dabei sichtlich atmend, das gefiel ihm, daß er einfach nur so lag und sie irgendwas daran nicht recht fassen konnte.
Sie stand wie angewurzelt, da sprang er auf, und sie fuhren fort, sich mit dem zu beschäftigen, das sie immer enger zusammenführte, aber nach noch einmal ein paar Stunden machte sich Erschöpfung breit, sie waren ja auch schon weit gekommen, mit dem Text, mit dem Text, und Karin Werth sagte, puh, es reiche für heute, sie habe einen Bärenhunger, was er davon halte, wenn sie jetzt ins Hotelrestaurant gingen, das befände sich direkt unterm Dach im »Interconti«, man habe einen tollen Blick auf die Stadt und die Hügel drumrum, da könnten sie sitzen, wenn er wolle, langsam gehe auch die Sonne unter.
Matti wollte aber nicht, und er sagte ihr auch frei heraus, warum nicht: »Da oben kannst nur du bezahlen, das behagt mir nicht. Ich möchte mich nicht die ganze Zeit von dir aushalten lassen. Die Stadt steht uns offen, also laß mich dich einladen.«
Karin Werth folgte ohne Widerspruch. Sie gingen hinunter auf den Platz, Matti schlug eine beliebige Richtung ein, und nach gerade einmal 200 Metern standen sie vor einer Kneipe mit dem unaussprechlichen Namen »U Milosrdných«. Matti drückte entschlossen die Tür auf.
Die Wände drinnen waren bis in Kopfhöhe dunkel getäfelt, Tische und Stühle waren aus ebensolchem Holz. Die meisten waren besetzt, überall trank man Bier, aber Matti entdeckte noch einen freien Tisch unweit der Theke und fragte den zapfenden Wirt mittels einer Kopfbewegung, ob sie dort Platz nehmen dürften. Der Wirt nickte ebenso stumm.
Sie gingen an der Theke vorüber, »pivo?« hörten sie, und Matti streckte Zeige- und Mittelfinger hoch und fragte erst danach Karin Werth, ob sie eigentlich Bier trinke, und indem er es fragte, begriff er, daß er so gut wie nichts über sie wußte, jedenfalls nichts aus ihrem alltäglichen Leben.
»Wenn es sein muß«, sagte sie, das hatte was von einem Lächeln, obgleich sie eindeutig nicht lächelte.
Schon brachte der Wirt das Bier. Seine wulstigen Finger klebten wie übereinanderliegende Würste an den Gläsern. Und so dicke Oberschenkel hatte er, daß sie bei jedem Schritt aneinanderrieben und er seine Füße wie ein Seemann auf schwankendem Deck nach außen setzen mußte. Er fragte etwas auf tschechisch, und Matti antwortete auf deutsch, aber sicher, sie würden gern essen, da zählte ihnen der Wirt in singendem Deutsch drei oder vier Gerichte auf. Matti bestellte ohne lange zu überlegen Schweinebraten »mit Knedletschki«, und Karin Werth hob Zeige- und Mittelfinger wie eben er.
Sie warfen sich einen Blick zu, der dem unendlich dicken Wirt galt, einen verschwörerischen, schmunzelnden Blick, aber Matti hatte den Eindruck, der Wirt bemerke es, und hörte gleich wieder auf zu schmunzeln, und auch
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