Brüder und Schwestern
kann, und ick muß, ick lasse mir nicht das Wort verbieten, weil ick nämlich im Gegensatz zu meinem geschätzten Freund und Kollegen Matti Werchow, mit dem ick schon lange auf der ›Barby‹ tätig bin, mich zu erinnern glaube, was an dem Dritten Siebenten Neunzehnhundertsiebenundachtzig vorgefallen ist. War das«, fragte er in Richtung Lingsohr, »nicht der Tag, an dem du uns blöd gekommen bist wegen des Namens ›Barby‹ und deswegen ein Streit zwischen dir und Matti Werchow entbrannte?«
»Streit ist untertrieben«, berichtigte Lingsohr ihn maliziös, »dein geschätzter Freund und Kollege wollte mir an den Kragen, falls du es nicht mehr wissen solltest, so war es! Und nur, weil ich mal die Probleme angeschnitten habe, denen man als DDR-Bürger in Westberlin immer wieder ausgesetzt ist. Davon will mancher ja lieber nichts hören.«
Vom Präsidiumstisch aus hakte Spahner nach: »Es kam an jenem Tag also auch noch zu einem körperlichen Angriff Werchows aufgrund einer politischen Auseinandersetzung, ist das richtig, Sylvio?«
»Es wäre ohne Zweifel dazu gekommen, wenn Peter Schott nicht eingeschritten wäre – nochmal ein großes Danke dafür, Peter.« Lingsohr nickte ihm zu.
Peter Schott sog so die Luft ein, als müsse gleich er von einer Attacke abgehalten werden.
»Und dieser beinahe schon begonnene Angriff aus politischen Motiven heraus«, so wieder Spahner, »geschah der vor dem Hitlergruß oder danach?«
»Danach«, antwortete Lingsohr.
»Was für eine Unverschämtheit«, rief Peter Schott, »es hat niemals einen Hitlergruß gegeben, niemals! Wie kommst du dazu, sowas zu behaupten?«
»Wie kommst du dazu, es zu bestreiten?« fragte Lingsohr mit einem hinterlistigen Lächeln.
»Ick war schließlich dabei. Ick war ja wohl auch auf der ›Barby‹. Ick hätte den Gruß gesehen – wenn er erfolgt wäre.«
Lingsohr nickte, die Antwort schien ganz nach seinem Geschmack zu sein. Er sagte langsam und betont: »Der Gruß ist erfolgt, aber du konntest ihn nicht sehen, denn was war in jenem Moment deine Aufgabe? Deine Aufgabe war, wie immer beim Anlegen, das Vertäuen des Kahns. Du standest vorne an der Reling. Du hattest bestenfalls mich im Blick, aber niemals Matti Werchow. Der befand sich unzweifelhaft in deinem Rücken.« Triumphierend blickte er zu Spahner, und als habe er von dort ein ermunterndes Zeichen bekommen, fügte er väterlich hinzu: »Ich verstehe ja bis zu einem gewissen Grade, daß du Matti Werchow in Schutz nehmen willst, du sagtest ja selbst, ihr seid langjährige Freunde. Aber lügen, Peter, lügen solltest du nun wirklich nicht. Du reitest dich nur selber mit rein.«
Peter Schott wußte keine Entgegnung mehr. Ihn irritierte auch die Sicherheit, mit der Lingsohr bei seinem Anwurf blieb. Für einen Moment fragte er sich, ob Matti, um Lingsohr zu ärgern, nicht doch eine solche Geste gemacht haben könnte. Dann aber fiel sein Blick auf den neben Lingsohr sitzenden Schlotzke. Der schnell wegschaute. Und plötzlich erinnerte sich Peter Schott daran, daß Schlotzke damals ja unmittelbar neben Lingsohr gestanden hatte.
»Schlotzke!« rief Peter. »Du warst doch dabei, du müßtest es doch genau gesehen haben, wenn da was gewesen wäre!« Aber gleich nachdem er es gerufen hatte, schwante ihm, dieser Mann würde Matti jetzt nicht beistehen, er sah es daran, wie der auf seinem Stuhl herumrutschte.
»Ich habe mich darauf konzentriert, von dir das Tau zugeworfen zu bekommen, ich habe nicht zum Steuerhaus gesehen … jedenfalls nicht die ganze Zeit«, antwortete Schlotzke.
Peter Schott stöhnte auf. Verzweifelt schaute er zu Matti.
Der streckte knapp über dem Tisch wie zur Beruhigung kurz die Finger einer Hand hoch und deutete auch ein Nicken an, denn in der Zeit, in der Peter seine Verteidigung übernommen hatte, war es ihm gelungen, aus der größten Verwirrung herauszufinden. Nun, da er wußte, um welche seiner vielen unangenehmen Begegnungen mit Lingsohr es hier eigentlich ging, erinnerte er sich auch, daß er an jenem Tag tatsächlich den rechten Arm gehoben hatte, und nicht nur kurz, sondern sogar mehrere Sekunden lang …
»Besten Dank, Kollege Schott«, sagte Spahner, »Ihre Nachfragen haben letztlich dazu beigetragen, diesen unerhörten Vorgang als wahr zu bestätigen. Damit kommen wir nun zu den Konsequenzen.«
»Einen Moment noch«, warf Matti ein.
»Keinen Moment mehr«, rief Bröslein, »Sie hatten schon das Wort, Sie müssen diese Versammlung nun wahrlich nicht in die
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