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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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ich dir kaum von ihr erzählt.«
    »Und was muß man sagen, um sich hier gleich wieder rauszukatapultieren?«
    »Da wäre natürlich als erstes die Frage oder die Feststellung, warum der hier so groß und breit hängen muß, aber bitte, wer ist schon so dumm. Ein bißchen öfter geschieht es, daß das Bild geflissentlich übersehen wird; und vor den jeweiligen Übersehern, vor denen sollte man sich wirklich hüten, denn in Wahrheit speichern sie alles – aber du kannst beruhigt sein, solche Leute sind nicht anwesend, komm, ich stelle dich allen vor.«
    Die Namen der ersten vier oder fünf, zu denen Markus Fresenius ihn führte, sagten Matti nichts, doch dann stand er plötzlich vor dem Anwalt, von dem er erstmals durch Karin Werth erfahren hatte und der mittlerweile auch schon im Westfernsehen aufgetreten war.
    Der Mann trug raspelkurze Haare und sah im Gesicht asketisch aus, man hätte ihn für einen Sportlehrer halten können, wenn da nicht eine Brille mit dunklem Rahmen und beinahe fensterflügelgroßen Gläsern gewesen wäre, die ihm die Aura eines Denkers und Weitblickers verlieh. Oder entdeckte Matti die Aura nur, weil er um das Buch wußte? Machte das Buch den Eindruck?
    »Sie sind das«, sagte Matti einigermaßen ehrfurchtsvoll.
    »Ich bin das – und Sie sind der Kahnfahrer, da müssen Sie schon oft an meiner Kanzlei vorbeigeschippert sein.«
    »Wo ist die denn?«
    »In Hütte.«
    »Eisenhüttenstadt? In der Schiffahrtssprache heißt es EHS. Da bin ich tatsächlich schon oft gewesen, aber die Stadt kenne ich kaum, eigentlich nur den Hafen und das ›Interhotel‹.«
    »Ein vorzüglicher Schuppen«, erklärte der Anwalt genüßlich.
    »Verzeihung«, hakte Matti nach, »reden wir von derselben Kneipe? Von der Ruschs? Dort finden Sie es gut?«
    »Rusch spielte bis vor kurzem sogar eine äußerst wichtige Rolle in meinem Leben. Aus seiner Kundschaft rekrutierte sich, selbstverständlich nur zu Teilen, auch meine. Man schlug sich vor und hinter seiner Kneipe ja öfter gegenseitig die Köpfe ein. Ich bin dem Laden so dankbar, wie man einem Laden, den man nie betreten hat, nur dankbar sein kann.« Der Anwalt genoß die Pointe und hielt sie noch ein bißchen aufrecht, indem er nicht lächelte.
    »Aber da ist doch jetzt nicht geschlossen?« fragte Matti schließlich.
    »Da ist nicht geschlosssen.«
    »Es hätte mich auch gewundert. Nur, wenn weiter offen ist, wieso sprechen Sie dann in der Vergangenheit?«
    In diesem Moment zupfte Markus Fresenius ihn ungeduldig am Ärmel: Vielleicht könnten der Anwalt und er das Gespräch nach der Lesung fortsetzen?
    Und Fresenius führte Matti weiter herum, wieder lernte er einige Männer und Frauen kennen, deren Namen er noch nie gehört hatte. Dann gingen sie aber auf ein schmales, lockenköpfiges Bürschchen zu, und das streckte seine Hand vor und sagte: »Norbert Weißfinger.«
    Matti merkte auf. Er kannte einen Norbert Weißfinger vom Lesen und mehr noch vom Nichtlesen der Hauptstadtzeitung, aber jener Norbert Weißfinger konnte wohl kaum der sein, den er jetzt vor sich hatte.
    Das Bürschchen schien ihm anzusehen, was er dachte, es sagte lächelnd: »Glaub es ruhig. Ich bin genau der, von dem du hoffst, ich wäre es nicht.«
    »Der von der Zeitung«, sagte Matti um so distanzierter, da sein Gegenüber also nicht nur der Schreiber war, sondern auch noch ein Mensch, der ihn umstandslos duzte. Fühlte Weißfinger sich dazu berechtigt, weil sie, wie’s aussah, im gleichen Alter waren? Oder weil hier in diesem Zimmer unverkennbar ein Gemeinschaftsgefühl herrschte, das es einem erleichterte, den anderen zu duzen? Aber das war ja überhaupt das Erstaunlichste: daß dieser Norbert Weißfinger, der zugleich jener war, ganz selbstverständlich hier dazuzugehören schien.
    Weißfinger lächelte wieder: »Du meinst vielleicht, im Schreiben offenbare sich der Mensch, ich sehe es dir an. Aber vielleicht verschließt sich auch mancher? Vielleicht muß er das tun? Vielleicht schwirren ihm im Kopf Sachen herum, von denen er weiß, sie werden sowieso nicht gedruckt? Dann braucht er ein anderes Forum. Damit er nicht verrückt wird im Kopf.«
    »Und warum hörst du dann nicht auf in der Zeitung?«
    »Weil ich nichts anderes kann als schreiben, und weil ich nichts anderes will. Tja, derjenige, der immer weiter nur eines will, weil er sich was anderes nicht vorstellen kann, ist manchmal ganz schön in den Arsch gekniffen, was? Er hat, was er will, und doch ist er unglücklich – aber nicht

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