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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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überhaupt winken, und so lehnen sie sich an Laternenpfähle, dünner machen sie sich, als die Pfähle sind, sie haben eine Heidenangst, irgendetwas Unbescheidenes zu tun, etwas, mit dem Sie sich blicken lassen vor den andern. Ja, und von dieser Angst, mein Freund, sind leider auch Sie befallen, wenn nicht beseelt.«
    »Aber wie kommen Sie denn darauf? Ich habe Ihnen reinen Wein eingeschenkt und nehme auch sonst für mich in Anspruch, offen und ehrlich zu sein. Mich also sehen zu lassen. Ich will mich nicht loben – aber damit bin ich schon zur Genüge angeeckt.«
    »Genau das ist der gesenkte Blick! Heben Sie ihn! Loben Sie sich doch einmal richtig ! Ihre Ehrlichkeit ist nicht aller Ehren wert. Weil Sie nämlich schon einkalkulieren, daß aus ihr eine Niederlage folgt. Sie wissen doch vorher, daß Sie anecken und verlieren werden, wenn Sie so von Grund auf ehrlich sind. Und dennoch sind sie’s, dennoch behalten Sie dieses Muster bei. Sie fügen sich, indem Sie ganz ohne Deckung aufbegehren, in die Niederlage, Sie erwarten sie schon, so wie die brave Bürgerin an der Theke erwartet, daß sie das Gewünschte nicht erhält; ich sage Ihnen, deren Bescheidenheit ist auch Ihre, nur daß Sie sie perfekt vor sich selbst kaschieren. Sie werfen sich sogar noch in die Brust, weil Sie immer alles herausposaunen. Posaunen Sie um Himmels willen einmal nicht alles heraus! Hintergehen Sie die, die hintergangen werden müssen! Rutschen Sie nicht mit Ihrer bedingungslosen Offenheit vor denen auf den Knien! Erniedrigen Sie sich nicht länger! Werden Sie stolz und lernen Sie schweigen, zur Not sogar lügen, denn so wie Sie sich in Ihre Wahrheit hineinsteigern, verlieren sie doch allen Stolz. Was waren eben Ihre Worte? Sie sagten mir, Ihre ehemalige Geliebte habe sich um Ihren Text gekümmert, weil sie vielleicht was gutzumachen gehabt hätte. Ja sei’s drum, und wenn sie das hatte, so ist es doch nachrangig, denn der Text ist bei ›Westenend‹ erschienen, und wir beide, wir wissen genau, dies wäre niemals geschehen, wenn er nicht eine gewisse Qualität besäße. Erkennen Sie nun, wie Sie sich in die Wahrheit hineinsteigern, und wie Sie sich durch Ihr Hineinsteigern selbst bescheiden? Wie Sie sogar Ihrem eigenen Text die Tauglichkeit absprechen? Das ist fatal! Rühmen Sie ihn, und lassen Sie unter den Tisch fallen, was dem Rühmen im Wege steht, ich bitte Sie wirklich sehr!«
    »Das ist nicht Ihr Ernst«, rief Matti. »Sie selber haben vorhin vom Wieder-Benennen geredet, vom Zurückholen der Wörter, also letztlich von der Dringlichkeit, die Wahrheit freizulegen, ich habe es noch genau im Ohr. Und jetzt preisen Sie das Verschweigen und fordern das Lügen, jetzt halten Sie hier ein Plädoyer für das Weglassen und das Verdrehen von Wörtern!«
    »Fragen Sie sich, warum ich es halte, und beachten Sie dabei, ich äußere mich nicht in größerer Runde, sondern nur vor Ihnen, den Herrn Weißfinger negieren wir kurz einmal, ohne daß er uns der Unhöflichkeit zeihen wird, nicht wahr?«
    »Ich stehe gar nicht hier«, behauptete Weißfinger folgsam.
    »In Ordnung«, sagte dann auch Matti, »ich befrage mich – aber ich finde keine Antwort, tut mir leid.«
    »Sehen Sie in mir den Mann, der sich Ihnen gegenüber auf die Wippe setzt.«
    »Ein Gegengewicht?«
    »Ich bin nicht Ihr Gegengewicht. Ich denke wie Sie, nur ein Stück weiter. Sehen Sie in mir jemanden, der Sie in Bewegung stoßen will. Ihre Ehrlichkeit hat etwas Statisches und demnach Schwächliches. Bleiben Sie nicht länger auf ihr sitzen, vervollständigen Sie sich, dann werden Sie unschlagbar sein.«
    Der Anwalt ging, ohne sich durch ein Wort oder eine Geste zu verabschieden, zu einem anderen Grüppchen, wo er sich aber nicht einfach hinzugesellte, vielmehr war das ein wortloses Eintreten und Auf-sich-aufmerksam-Machen.
    Matti verspürte jetzt nur ein Bedürfnis: Er wollte allein sein, um in Ruhe über das nachdenken zu können, was ihm der Anwalt aufgegeben hatte. Aber neben ihm stand unverändert Norbert Weißfinger, und Norbert Weißfinger war ihm schon noch eine Erklärung darüber schuldig, wie er im einzelnen an das Wissen über seine, Mattis Liebschaft mit Karin Werth gelangt war.
    Bevor Matti etwas sagen konnte, versicherte Weißfinger ihm schnell seine Solidarität: Dem Anwalt nachschauend, rollte er für den Bruchteil einer Sekunde mit den Augen, eigentlich nur ein Zucken der Pupillen nach links und nach rechts war das.
    Matti schien es gar nicht zu bemerken,

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