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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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verrühren? Da kommt Hühnerschiß raus, wenn Sie das verquirlen, das prophezeie ich Ihnen. Heiner Jagielka fand, es sei nicht seine Aufgabe, den Mann aufzuklären, und beschränkte sich auf ein wissendes Lächeln. Er hatte nun, im Wortsinn, den Boden für seine Unternehmung bereitet. Fehlte noch das eigentliche Material. Da klapperte er, keinen Monat war das her, die Gärtnereien Thüringens ab und transportierte Hunderte Kilo Nelken mit minimal ausgebildeten Knospen, die kurz vor dem Winter doch nur im Abfall gelandet wären, in seine Brutstation. Endlich warf er erstmals seine diversen Geräte an. Er ließ sie summen und brummen, ein gewaltiger, aus verschiedenen Quellen gespeister Energieschub, der, das gibt’s ja nicht, das war so aber nicht geplant, schnell aus der Scheune drang und sich im Wald ausbreitete und mir nichts dir nichts die drumherum lebenden Tiere erfaßte und erfüllte: Spechte fällten mit ihrem plötzlich hammerharten Klopfen die Bäume, an denen sie klebten; Hirsche störten mit ihrem seltsam hochfrequenten Röhren die Übertragung der atemlosen Ausführungen Friedrich Lufts im RIAS, wie insbesondere dessen treuer Hörer Jonas Felgentreu irritiert zur Kennnis nehmen mußte; Wildschweine wühlten sich derart ungestüm und tief ins Erdreich, daß sie sich die Pfoten an aufschießendem Magma verbrannten; nun, und wenn der weise Uhu, der das alles beobachtet und überdies zu seinem grenzenlosen Erstaunen festgestellt hatte, daß er auf einmal imstande war, seinen Kopf nicht nur um 180, sondern um 360 Grad zu drehen, Heiner Jagielka nicht mit unheilschwangeren Worten um eine Drosselung sämtlicher Systeme gebeten und dieser nicht auf der Stelle dem Begehren des Uhus stattgegeben hätte, tja wer weiß, wer weiß, uhu-uhu, was dann aus Gerberstedt und vielleicht der Welt überhaupt geworden wäre.
    In Wahrheit mußte Jagielka noch ein wenig experimentieren. Die ersten mit Nahrung, Wärme und Licht befeuerten stecknadelkleinen Knospen waren nämlich weich wie Hefekügelchen geworden, nicht gerade der Effekt, den er sich erträumt hatte. Er veränderte die Mixtur der Chemikalien, da platzten die Knospen und fielen auseinander. Beim nächsten Mal liefen die Stiele schwarz an. Eines Morgens aber, am Abend zuvor hatte er zum x-ten Male neue mickrige Stiele gesteckt und die soundsovielte Mischung der Ansorgeschen Tinkturen hinzugegeben, wogte ihm beim Betreten der Scheune ein wahres Meer mindestens kirschkerngroßer Knospen entgegen. Viele bildeten, von oben gesehen, Sterne, und die Sterne bedeuteten nichts anderes, als daß die Nelken geerntet werden konnten. Und die restlichen Knospen waren gar schon leicht aufgegangen. Und dieses Aufgehen, für das doch gewöhnlich mindestens fünf, sechs Tage nötig waren, hatte keine zwölf Stunden gedauert. Er befühlte und befingerte sie: Wie rund und fest sie waren! Stimmte dieser so lange erhoffte Zustand ihn ruhig und milde? Im Gegenteil, seltsam erregt, fast aggressiv zeigte sich Heiner Jagielka: Er trommelte mit den Fäusten Adrenalin gegen die Bretterwand, bis sie ihm weh taten und er sie in einer sinnlosen, tierischen Geste ableckte.
    Natürlich hielt er sein Versprechen. An jenem Tag und in ziemlich genau jener Minute, in der Willy zweieinhalb Kilometer Luftlinie entfernt das Gespräch mit Dietrich Kluge beendete, öffnete Heiner Jagielka dem am Abend zuvor angereisten Professor Birnesser sein Reich. Birnesser mußte blinzeln, nachdem er eingetreten war, mußte schließlich mit der Hand seine Augen verdecken – wegen der Tausenden Nelken, die ohne Zweifel bald einen herrlichen Flor bilden würden, oder auch wegen der Tausenden Lux.
    Vielleicht eine Minute stand er sprachlos, dann setzte er ein feierliches Gesicht auf und sagte in noch halb verwundertem und schon halb staatstragendem Ton: »Das, was wir hier vor uns haben, lieber Herr Jagielka, dürfte es gar nicht geben. Aber kein Zweifel, es existiert. Es ist keine Einbildung. Und Sie haben es hervorgebracht. Seien Sie stolz. Und sehen Sie mir nach, daß ich nicht daran glaubte und, wie Sie ja wahrscheinlich bemerkt haben werden, auch jetzt immer noch nicht recht daran zu glauben vermag.«
    Jagielka drückte seine Brust heraus und machte eine Geste der Vergebung.
    Abermals verstrich eine Minute. Und nun bat der Professor stockend und leise: »Würden … würden Sie denn, lieber Herr Jagielka, und ich frage dies … frage es in Erinnerung an die nicht unwesentlichen Dienste, die Sie vor geraumer Zeit von

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