Brüder und Schwestern
stand, eine leere, verfallene Scheune ausfindig. Sehr beruhigend. Mußte er sich nicht groß ängstigen, noch jemand könne sie entdecken oder gar betreten. Er dichtete sie ab mit Brettern, die ihm von einem Forstarbeiter zurechtgesägt worden waren, nachdem der etwas Verlockendes gesehen hatte, aus einer Hemdtasche ragende, bläulich schimmernde Röllchen. Knisternd wechselten die Hunderter den Besitzer. Gleiches Prozedere auf dem Gebiete der Elektrowirtschaft. Problemlos ließen die Vertreter der führenden Klasse, die beauftragt waren, die Fernverkehrsstraße, welche von Gerberstedt über Schorbamünd geradewegs in den Kommunismus führen sollte, mit neuen, 400 Watt starken Natriumdampflampen zu versehen, sich überreden, ihm ein paar von denen zu überlassen und statt dessen alte, schwach wie Kerzenstummel leuchtende Exemplare anzubringen. Nun noch die Stromleitung anzapfen, die vom Ort zur LPG führte und von dort zur verwunschenen Ausflugsgaststätte »Jägersruh«. Die uneinsehbare Scheune, sie konnte jetzt nächtens taghell beleuchtet werden. Er fuhr, nächster Schritt, in seinem Škoda die 30 Kilo schweren, normalerweise mit Flüssiggas gefüllten Flaschen heran, die überall zum Heizen von Gebäuden dienten. Stark zu erwärmen gedachte natürlich auch er seinen Stall, aber darüber hinaus brauchte er, brauchten die Nelken, deren rasantes Wachstum er vorbereitete, Kohlendioxid; kein Problem, der mit ihm befreundete Installateur Irrgang hatte ihm die Flaschen über Nacht umgerüstet. Ende der eher groben Vorarbeiten. Basis gelegt. Von jetzt an konnte er sich um die Feinheiten kümmern, um die Ingredienzen, deshalb: Besuch in der »Saftquetsche« Oldisleben, der, soweit ihm bekannt, einzigen noch auf Dampfmaschinenbasis arbeitenden Zuckerfabrik auf Erden. War im Grunde ein Denkmal, die Bude, daher lag es für ihn auf der Hand, seiner Ehrfurcht über die stampfenden Kolosse, sowie über deren doch sicher aufwendige Hege und Pflege, Ausdruck zu verleihen. Fast im selben Atemzuge stellte er sich vor als Vertreter einer noch im Bau befindlichen Mosterei und bat untertänigst, außerplanmäßig mit Zucker versorgt zu werden. Er drückte sich, um es genau wiederzugeben, so aus: Wenn Sie die Güte hätten, unser junges zartes Pflänzlein bei Ihren Versorgungsleistungen zu berücksichtigen? Berechnungen zufolge würde er einen Zentner für vier Quadratmeter benötigen. Machte bei 400 Quadratmetern, die er schon mit Folie ausgelegt hatte, hundert Zentner. – Und wie oft wünschen Sie denn beliefert zu werden? – Dieses, liebe Kollegen, läßt sich jetzt von mir noch nicht mit Sicherheit sagen, hängt es doch, wie Sie sich vielleicht denken können, von der Obsternte ab, welche wiederum sich so gestaltet, wie der natürliche, manchmal hitzige und manchmal frostige Hauptfeind des Aufbaus und der Vervollkommnung der sozialistischen Gesellschaft, ich rede natürlich vom Wetter, Kollegen, haha, es zuläßt.
Im von ungepflegten Grünflächen umgebenen Krankenhaus verhielt er sich ganz ähnlich. Er ersuchte um regelmäßigen Bezug von 100-Liter-Bottichen mit destilliertem Wasser, denn: So wie Sie, verdienstvollerweise, viele Menschen hochpäppeln, so strebe ich danach, vielen Blumen aus ihrem Lager aufzuhelfen, und dazu, na, wem sage ich das, ist selbstverständlich hundertprozentige Keimfreiheit vonnöten. Und, Kollegen, auch das dürfte Sie interessieren: Von den Blumen, die ich, wenn man so will, an den Tropf hänge, sollen Sie auch etwas haben, fröhlich bunt wird es werden um Ihr Hospital, dafür verbürge ich mich, so wahr ich Jagielka heiße. – Wie heißen Sie? – Heiner Jagielka. J wie Jaguar, A wie Auerochse, G wie Giraffe, I wie Iltis, E wie Elefant, L wie Luchs, K wie Katze, nochmal A wie Auerochse. – Sie haben’s wohl mit Tieren, Heiner Jagielka? – Nö. Ich könnt ja auch abkürzen, H wie Hitler, J wie Jugend, aber dann würden Sie sagen, ich hätt es mit den Faschisten. – Um Gottes willen, schweigen Sie, Heiner Jagielka, schweigen Sie.
Und er schwieg. Fortan. Sagte auf dem Pflanzenschutzamt nicht, wozu er den Giftschein benötigte, dessen baldmöglichen Erwerb er wünschte. Murmelte etwas von Schädlingsbekämpfung in den Kaufhallen des Kreises. Legte den Schein, als er ihn denn hatte, dem Apotheker Ansorge vor und verabredete die Lieferung verschiedener Chemikalien. Deren Zusammenstellung Ansorge nicht eben sinnvoll erschien, wie er seinem Kunden zu verstehen gab: Sie wollen das doch nicht
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