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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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wäre das klug? Er kriegte ja niemals so schnell Ersatz, von nirgendwoher, insofern war es egal, wer der Verursacher war. Sind ausgebucht, würde er, wie immer, nur zu hören kriegen. Was er dagegen, jede Wette, selbst dieses Mal keineswegs vernehmen würde, wäre eine Entschuldigung. Ob da oder dort, man setzte in den halb verfallenen Fabriken, in denen man jahrzehntealte Maschinen zu nutzen gezwungen war, ein prinzipielles Verständnis dafür voraus, daß klapprige Gäule nunmal nicht hoch sprangen. Willy würde also, ob er wollte oder nicht, das eigentlich unzumutbare Papier verdrucken müssen. Und würde damit seinerseits wieder jemanden verärgern. Wen? Wer würde diesen Zellstoff zwischen den Buchdeckeln überhaupt akzeptieren? Vielleicht einer derjenigen, die gerade in seiner Schuld standen? Willy überlegte, und überlegte, und schließlich fiel ihm Weitermann ein – aber ja, Weitermann! Der, erfahrener Herstellungsleiter des in Berlin beheimateten »Metropolenverlages«, hatte das Manuskript eines Autors namens Gilmar Gluth, welcher bekannt dafür war, mit seinen nur bleistiftschmalen und vor Manieriertheit strotzenden Werken nie fertig zu werden, erst acht Wochen nach dem vereinbarten Termin liefern können, was Willys gesamte Maschinenbelegung durcheinandergebracht hatte und normalerweise Grund für eine saftige Vertragsstrafe gewesen wäre. Weitermann aber, geübt in Kompensationsgeschäften, für die er in der Hauptstadt nicht die schlechteste Basis hatte, war es gelungen, Willy gnädig zu stimmen, indem er ihm, »als Zugabe fürs nächste Betriebsfest, mit sozialistischem Gruß«, ein paar Kilo Apfelsinen hatte zukommen lassen. Und da er wußte, daß jene milde Gabe Willy nicht völlig zufriedenstellen würde, erklärte er am Telefon: »Hast natürlich noch einen gut bei mir, erinnre mich dran, falls ich’s vergesse.« Die Zeit der Erinnerung, sie war jetzt gekommen.
    »Wir drücken ausnahmsweise beide Augen zu«, sagte Willy.
    »Was tun wir?« fragte Dietrich Kluge.
    »Wir drücken ausnahmsweise beide Augen zu«, wiederholte Willy, wobei er für einen Moment tatsächlich seine Augen schloß.
    »Das ist nicht dein Ernst! Was heißt überhaupt ausnahmsweise? Ich kann mich nicht erinnern, wann wir sie mal nicht zugedrückt hätten. Du vielleicht?«
    Willy antwortete nicht auf die Frage. »Wir machen damit den Gluth. Weitermann wird mir den abnehmen, kein Problem.«
    Kluge drehte seinen Oberkörper zur Seite, stieß mit dem Kopf nach vorn, drehte sich wieder zurück, die Bewegung eines Panthers im Zoo.
    »Der Gluth, der soll sowieso nicht so toll sein«, sagte Willy.
    »Soll er nicht«, repetierte Kluge gedehnt.
    »Es ist ein Kompromiß, mit dem wir leben können, Dietrich.«
    Da brach es aus Kluge heraus: »Wir können damit leben, ja, wir? Du vielleicht, bitte, ja, du kannst ja neuerdings mit jedem Kompromiß leben. Ich nicht. Ich nicht mehr!« Er stieß ein kurzes, hohes Meckern aus. »Wie heißt es so schön, Willy? Meine Hand für mein Produkt. So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben. So heißt es doch, Willy? Weißt du was«, er streckte ihm seine Hände entgegen, Teller nach oben, »wenn das stimmen würde, dann wären unsere Hände doch schon ab.« Er führte eine Handkante an die Gurgel, rief: »Und wir würden gar nicht mehr leben, sondern wären mausetot. Es ist eine Schande. Dafür bin ich nicht Drucker geworden. Dafür«, er verbesserte sich, stieß seinen Zeigefinger an Willys Brust, »sind wir nicht Drucker geworden. Erinnere dich. Was waren wir stolz. Wir waren die Könige. Ohne uns kein Wort. Wir haben die Wörter gemacht. Nicht erfunden, aber gemacht. Und jetzt? Ich frage dich: und jetzt?«
    Willy schwieg.
    »Jetzt verpfuschen wir die Wörter, jetzt …«
    »Hör auf zu übertreiben! Das ist doch alles übertrieben. Wir machen großartige Bücher. Wir kriegen jedes Jahr Messegold für sie, auch im Ausland. Wir haben Schwächen, zugegeben, ich bin doch der letzte, der das nicht eingestehen würde. Aber wir bemühen uns, die abzustellen.«
    Kluge stampfte mit dem Fuß auf, fügte allen aus den Maschinen getriebenen Vibrationen, die schon im glattgetretenen Steinboden steckten, seine eigene, unbedeutende Schwingung hinzu. »Das kann ich nicht mehr hören, Willy, diese verdammten Beschönigungen. Ich reiß mir mit meinen Jungs hier den Arsch auf …«
    »Ich auch, verdammt nochmal …«
    »… das bestreitet doch keiner, du auch, ich bin doch nicht blind, aber es nützt nichts,

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