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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Anblicks an sich, sondern weil sie’s insgeheim immer befürchtet hat, das mit dem Hohlraum. Die darf gar nichts von dem wissen. Die sagt sich, ich weiß nichts von dem; heute wie gestern sagt sie sich’s. Muß sie ja! Sonst müßte sie doch Hals über Kopf raus aus dem Haus. Und daß sie’s weiß, und zugleich sich selber weismacht, sie wüßt’s nicht, genau das ist ihr unangenehm. Man mag es eigentlich nicht glauben, oder? Der Stelze und was unangenehm. Aber so muß es sein. Sonst wäre sie ja nicht so fuchsig geworden. Klar, an die Stelle ganz hinten in ihrem Hirn, wo’s ihr unangenehm ist und wo sie ihre ganze Unsicherheit verschlossen hat, an die Stelle darfst du nicht klopfen. Bei Strafe deines Untergangs, du darfst sie nicht mit ihrer eigenen Unsicherheit konfrontieren, denn nur die besten Menschen, nur die allerbesten, schämen sich dieser nicht. Man muß es also … muß es jetzt schnell, ehe es zu spät ist, anders versuchen bei diesen beiden … aber wie? … Schadensbegrenzung betreiben … nur wo? … natürlich da, wo sie sich hingeflüchtet haben, auf dem absurden Feld der persönlichen Beleidigung … immer ereifern sich die, denen die Argumente fehlen, über den Ton derer, die Argumente haben, was anderes bleibt ihnen nicht … aber ist es denn nicht schon zu spät für Schadensbegrenzung? Ist die Relegation nicht schon beschlossene Sache? Ach was, sie wäre es, wenn Krümnick soeben nicht gesagt hätte, ›ich schlage vor‹. Genau das hat er aber gesagt, das und nichts anderes. Erstmal ein Vorschlag war’s, noch nicht mehr. Es gibt noch eine Chance …
    Matti durchbrach die Stille, die dem gemeinschaftlichen Atemholen gefolgt war, indem er seine Füße auf den Boden drückte und mit seinem Stuhl ruckartig nach hinten rutschte. »Meines Erachtens«, sagte er, sich zwingend, seiner Stimme einen unaufgeregten, ja gleichmütigen Ausdruck zu verleihen, »war das keine Beleidigung, die es rechtfertigt, daß jemand von der Schule fliegt. Gut, man wirft solche Worte niemandem an den Kopf – keiner Lehrerin jedenfalls. Aber letztlich, letztlich ist es nicht mehr als eine Äußerung darüber gewesen, daß jemandem die Kleidung eines anderen nicht gefällt.«
    »Es ist mehr als das gewesen«, korrigierte ihn Rolf-Dieter Krümnick scharf. »Es ist die geradezu unverschämte Aufforderung gewesen, Frau Stelzer möge ihre Bluse wechseln. Vor der Klasse vielleicht noch? Vor der Klasse?«
    Matti stöhnte auf. Wie perfide Krümnick die Dinge verdrehte, das war unverschämt. Aber er durfte es ihm nicht vorhalten, wenn nicht auch er noch der Beleidigung geziehen werden wollte. »Das stimmt nicht ganz, Herr Krümnick«, antwortete er, und fügte hinzu, »meiner Meinung nach. Denn was hat Jonas gesagt? Er hat nicht, wie es eben hieß, gesagt: Ich kann Sie, also Frau Stelzer, auffordern, und so weiter, sondern er hat gesagt: Ich fordere Sie ja auch nicht auf. Das war die genaue Wortwahl. Ich habe sie mir gemerkt. Alle hier, die sie sich ebenfalls gemerkt haben, werden das bestätigen können.«
    Niemand regte sich.
    »Nehmen wir mal an«, erwiderte Krümnick, »Ihre Erinnerung stimmt. Was ändert das? Nichts. Denn egal, wie Felgentreu es nun genau ausgedrückt hat, es war eine als Nichtaufforderung getarnte Aufforderung. So was lernt man vielleicht in diesem Zirkel, in dem Felgentreu sich betätigt, ich erspare mir, den Namen zu nennen, der spricht ja wohl für sich.«
    »Aber das ist doch an den Haaren herbeigezogen!« Etwas anderes fiel Matti beim besten Willen nicht mehr ein.
    Da huschte ein listiges Lächeln über Krümnicks Gesicht. Er wandte sich an Karin Werth, die, vor dem Fenster stehend, die Diskussion mit steinerner Miene verfolgt hatte. »Vielleicht kann mir die Kollegin Werth bestätigen, daß es keineswegs an den Haaren herbeigezogen ist. Sie, verehrte Kollegin, sind doch, wie wir alle wissen, und wir schätzen das, wir schätzen das ausdrücklich, eine Freundin klug gewählter Worte. Also sagen Sie uns bitte: Ist es im Deutschen, und vielleicht auch in jeder anderen Sprache, aber das lassen wir heute mal dahingestellt, nicht eine gängige Methode, etwas gerade durch Verneinung zu bejahen, einen Wunsch gerade dadurch auszudrücken, daß man vorgibt, ihn sich versagen zu wollen?«
    Karin Werth schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Sie schien Matti wie in einen Kokon eingesponnen, auf eine seltsame Weise von allem getrennt, was hier geschah. Ein Schutzmechanismus? Sie hatte sich in dem

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