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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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nächsten, die wiederum ihnen über die Schulter …
    Auch die Neugierde des Direktors Krümnick, der eigentlich zur Klasse 12 b wollte, war geweckt. Ein Schülerpulk vor der Wandzeitung? Ungewöhnlich, höchst ungewöhnlich. Krümnick räusperte sich von hinten, eine Schneise öffnete sich ihm, und er sah die üblichen Termine für die Arbeitsgemeinschaften junger Sänger und Maler, die aktuellsten Spartakiadeergebnisse im Geräteturnen und im Handball, den von ihm höchstselbst verfaßten Aufruf, Solidarität mit Luis Corvalan zu üben beziehungsweise in dieser nimmer nachzulassen. Endlich entdeckte er das, was die Schüler wohl bannte. Es war ein Gedicht. Krümnick begann zu lesen:
    1.
    Und als wir ans Ufer kamen,
    und saßen noch lang im Kahn,
    da war es, daß wir den Himmel
    am schönsten im Wasser sahn.
    2.
    Und durch den Birnbaum flogen,
    paar Fischlein, das Flugzeug schwamm
    quer durch den See und zerschellte
    sachte am Weidenstamm.
    Als Krümnick gerade bei 3. angelangt war, klingelte es zum Unterricht. Die Schüler hinter ihm machten sich davon. Einige wandten sich beim Weggehen noch einmal nach ihm um, begierig, in seinem Gesicht eine Reaktion abzulesen. Aber auch er eilte jetzt los. Kurz dachte er darüber nach, wie er sich verhalten sollte. Dies war, selbst wenn er es nicht bis zum Ende gelesen hatte, ein Naturgedicht. Und ein Liebesgedicht. Ein Liebesgedicht, das sich sozusagen über die Natur ausdrückte. Es war schön. Es gefiel ihm. Ergriff es ihn nicht sogar? Drückte es in gewisser Weise nicht sogar Erfahrungen aus, die er selber gemacht hatte? Auf dem neuen, etwa eine halbe Autostunde von Gerberstedt entfernten Stausee, an dem es eine kleine Bootsausleihe gab, war er da mit seiner Frau nicht schon manchmal in einem Kahn herumgetrieben und hatte sich der Landschaft erfreut?
    Nun, er mochte der Schülerin oder dem Schüler, demjenigen, der das geschrieben hatte, mehr noch, dem das gelungen war, gern Talent bescheinigen. Sehr gern. Und dennoch: Wie so viele künstlerisch veranlagte junge Menschen, so schien auch dieser Verfasser hier kein Maß zu kennen. Mußte er seine Liebesbezeugung, seinen lyrischen Gruß, denn ausgerechnet an die Wandzeitung heften? Wenn das jedem Schüler einfiele, der sich gerade verliebt hatte. Zehn Borde wären da vonnöten. Nein, dazu hing die Wandzeitung nun wahrlich nicht hier. Es gab doch Briefumschläge. Es gab Poesiealben. Folglich: Sobald er seine Aufgabe in der 12 b erledigt haben würde, wollte er Reni, seiner Sekretärin, auftragen, das Gedicht abzuhängen und durch den mahnenden Hinweis zu ersetzen, private Wortmeldungen seien an dieser höchst offiziellen Stelle unbedingt zu unterlassen, bei Zuwiderhandlung Strafe, gez. Krümnick, Dir.
    Die 12 b hatte in dieser ersten Stunde Deutsch bei Karin Werth. Und Karin Werth war an diesem Tage extra früher erschienen als sonst. Wenn nämlich Jonas und Matti ihr etwas Wichtiges zu berichten hätten, so würden wohl auch sie sich frühzeitig blicken lassen. Und so war es gewesen. Die beiden hatten sich schon eine Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn im Klassenzimmer eingefunden. Sie hatten gerade begonnen, Karin Werth von den gestrigen Geschehnissen zu erzählen, da war zu ihrem Erstaunen die Tür aufgegangen, und zu ihrem noch größeren Erstaunen war nicht irgendeiner der »Dörfler« erschienen, sondern Eleonore Stelzer.
    Diese wandte sich an Karin Werth: »Dürfte ich Sie vielleicht einen Moment alleine sprechen?«
    Karin Werth nickte, und die Jungen verzogen sich zu ihrer Bank an der hinteren Wand. Sie konnten nicht verstehen, was »die Stelze« sagte, sie konnten nur sehen, wie Karin Werth sich auf die Lippen biß, mit stummem Entsetzen, wie sie den Kopf schüttelte, schließlich zu ihnen beiden hinblickte, ihren Blick aber aus irgendeinem Grund sofort senkte. Dann ging sie zum Fenster. Sah hinaus, und wandte sich nicht mehr um. Währenddessen blieb Eleonore Stelzer am Lehrertisch stehen, sie okkupierte ihn, als begänne jetzt gleich ihr Staatsbürgerkunde-Unterricht. Die Schüler der 12 b tröpfelten herein, gewahrten sogleich das Besondere der Situation. Und hatten sie, die Ankömmlinge, sich auf dem Flur noch dieses oder jenes Wort zugeworfen, so zog jetzt ein angespanntes Schweigen ein, buchstäblich keiner sprach mehr, dies war die Lage, als Rolf-Dieter Krümnick das Klassenzimmer betrat.
    Sekundenlang ließ er seinen Blick über die Schüler schweifen. Nachdem er festgestellt hatte, daß der eine, auf den es ihm

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