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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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ankam, zugegen war, fingerte er noch kurz am Knoten seines Schlipses herum. Er räusperte sich, dann hob er endlich an zu reden: »Sie hätten jetzt Deutsch, so wie Sie gestern Staatsbürgerkunde gehabt hätten. Aber Deutsch muß heute ausfallen, weil wir nicht umhinkönnen darüber zu reden, warum gestern Staatsbürgerkunde ausgefallen ist …«
    Matti horchte auf. Darüber reden, das klang gut, das würde wohl nicht allzu bedrohlich werden.
    »Und selbstverständlich kommen wir ebenso nicht umhin, uns darüber zu verständigen, was mit Jonas Felgentreu geschehen soll, der den Ausfall herbeigeführt hat. Jonas, um sicherzugehen, daß ich recht informiert bin, woran ich natürlich nicht zweifle, aber bitteschön, wir wollen Sie hören, frage ich Sie, ob es stimmt, was Sie Frau Stelzer zugerufen haben«, er machte eine Pause, schaute mit einem Blick, der ausdrückte, es ist so peinlich, aber ich sehe mich außerstande, Ihnen das folgende zu ersparen, zur Stabü-Lehrerin hin und sagte schließlich, »ich kann Sie genausogut auffordern, Ihre häßliche Bluse mit der kitschigen Brosche darauf zu wechseln«, wobei er, Krümnick, als müsse er einer ungeheuren Empörung Herr werden, zwischen den Worten ein paar Pausen einlegte.
    Jonas schwieg irritiert.
    »Nochmal: Sind diese Worte gefallen oder nicht?«
    Jonas schüttelte den Kopf und bejahte, beides zugleich.
    »Was nun, Ja oder Nein?«
    »Verzeihung, Herr Krümnick«, schaltete Matti sich ein, »darum ging es doch gar nicht. Es ging …«
    »Genau darum geht es jetzt aber«, schnitt ihm Krümnick das Wort ab, »genau darum. Ein solcher Satz, und für mich sind die letzten Zweifel daran ausgeräumt, daß er tatsächlich fiel, ist eine Beleidigung, wie es sie an dieser Schule einem Lehrer gegenüber noch nie gegeben hat! Eine Beleidigung, die hinzunehmen ich nicht gewillt bin …«
    Jonas knetete mit der rechten Hand seinen linken Zeigefinger, so stark, daß immer wieder ein Knacken ertönte. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht damit. Matti versuchte abermals, für ihn in die Bresche zu springen: »Dieser Satz war Ausdruck einer … einer Hilflosigkeit, Herr Krümnick, weil Jonas sich zu Unrecht angegriffen …«
    »Hilflosigkeit? Sagten Sie Hilflosigkeit? Ich will Ihnen darauf eines antworten: Jeder fühlt sich einmal hilflos, jeder hier im Raum, ist es nicht so«, er blickte sich, Bestätigung heischend, um, erntete hier und da beifälliges Murmeln, »da haben Sie es, jeder kennt das. Aber beleidigen wir deshalb gleich andere Menschen, Menschen, die nicht für unsere Hilflosigkeit verantwortlich sind? Und selbst wenn sie es wären, ja, selbst wenn sie es wären! was sie aber, sicherheitshalber wiederhole ich mich, nicht sind, beleidigen wir sie? Nein und nochmals Nein! Denn es ist einer sozialistischen Persönlichkeit unwürdig, so mit seinen Mitmenschen umzugehen. Unwürdig! Und deshalb«, Krümnick dehnte jetzt seine Worte, gab ihnen somit etwas Amtliches, »schlage ich vor, den Schüler Jonas Felgentreu, der uns mehr als deutlich offenbart hat, daß er weit davon entfernt ist, eine solche Persönlichkeit zu sein, mit sofortiger Wirkung von unserer Erweiterten Oberschule ›Markus Roser‹ zu relegieren.«
    25 Nasen, die Luft einzogen, ruckartig, gleichzeitig, als litten sie Atemnot, ein Geräusch, wie wenn kurz etwas Schweres, und doch nicht Hartes, über einen Holzboden schleift, eine Matratze, ein verschnürter Zeitungsstapel, eine gefüllte Einkaufstasche. Jonas, bleich wie der Mond und stumm wie der – jetzt wurden ihm die Krater ins Gesicht gedrückt, jetzt. Matti, fieberhaft überlegend, wie er nun, da schon alles verloren schien, seinem Kumpel doch noch aus der Patsche helfen könnte: Sie wollen also nicht über das Eigentliche reden, die Stelze und Krümnick. Logisch, im Grunde. Sie können es nicht. Sie haben ja keine Argumente, wie man gemerkt hat. Aber eine feste, eine felsenfeste Meinung haben sie. Eine feste Meinung ohne jegliche Argumente ist wie ein Steinhaus, das auf einem Hohlraum steht. Immer einsturzgefährdet. Und das spüren sie. Aber sie dürfen’s nicht zugeben, daß sie’s spüren. Daß es hohl ist unter ihrer Meinung. Deshalb ist ja die Stelze gestern so fuchsig geworden! Weil wir sie mit der Nase drauf gestoßen haben! Gewiß, wir haben ihr gezeigt, wie es unter ihrem Haus aussieht, wir haben sie, ohne einen blassen Schimmer zu haben, daß wir’s taten, runtergelockt, und das hat sie nicht verkraftet. Und zwar nicht wegen des

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