Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
Befragungen darüber durchführen, ob jemand zufällig beobachtet worden sei, wie er sich am frühen Morgen an der Wandzeitung zu schaffen gemacht habe. Während jener Erkundigungen meldete sich die Achtklässlerin Viola Eilitz aus dem Dörfchen Borbra: Sie sei an diesem Tage von ihrem Vater im Auto zur Schule chauffiert worden und dort vor allen anderen angelangt. Die Zeit bis zum Eintreffen der nächsten Schüler habe sie auf einer Treppenbiegung sitzend verbracht. Diese habe sich im Halbdunkel befunden und sei von unten, vom Eingangsgewölbe, schlecht einsehbar gewesen, während ihr selber alles zu Füßen gelegen habe. Ich, erklärte Viola Eilitz, habe da an der Wandzeitung ein Mädchen was anbringen sehen und mir schon gedacht, daß etwas mit dem nicht in Ordnung ist, denn es hat sich immer so hektisch umgeschaut, vor allem zum Eingang hin. … Nein, den Namen dieser Schülerin weiß ich nicht, aber … aber ich weiß, daß sie in die 10 a geht. … Das Aussehen? Ja, sie ist eine … eine der Schönsten hier, wenn ich das so sagen darf. … Genauer? Na, schulterlange blonde Haare. Helle Haut. Schlank, aber nicht dürre … ach, und da fällt mir noch was ein: Ihre beste Freundin ist wohl die, die so, wie soll ich’s ausdrücken, irgendwie so ägyptisch daherkommt. Und sie hat einen Freund aus der Zwölften, und der hat so komische schwarze Klamotten an immer … reicht … reicht das?
    Das reicht, Viola, dankesehr.
    *
    Unterdessen hatte Willy es tatsächlich fertiggebracht, ins »Olympia« zu gehen und sich dort eine Gummibadekappe zu kaufen, die nicht ziepte, wenn er sie über seinen großen Kopf zog. Er hatte den Menschenauflauf vor dem Sporthaus bemerkt, war kurz hinzugetreten und war von Heiner Jagielka mit den Worten begrüßt worden: »Ah, der Herr Generaldirektor, kommse ran, kommse rein, soll auch nich Ihr Schade sein!« Willy war das peinlich gewesen. Er war kein Generaldirektor. Der »Aufbruch« war kein Kombinat. Er war Werkdirektor. Weil nämlich der »Aufbruch« nicht mehr und nicht weniger als ein großer Betrieb war. Er hatte wieder abdrehen wollen, aber Jagielka hatte rasch in einen der Eimer mit den Nelken gegriffen, hatte sich eine Handvoll Stengel geschnappt und war zu ihm gesprungen: »Da, Herr Generaldirektor, ein Strauß für Ihre reizende Gattin, mit der ich ja seit gestern in gewisser Weise geschäftlich verbunden bin, wie Sie sicherlich wissen.«
    »Was soll ich wissen?« fragte Willy.
    »Ach, hat sie Ihnen nicht erzählt …?«
    »Ich werde sie heute abend fragen«, schnitt Willy ihm das Wort ab, denn erstens hatte er es eilig, zurück in den Betrieb zu kommen, und zweitens verspürte er nicht die geringste Lust, diesem Jagielka auch nur mit einer Silbe anzudeuten, daß es mit dem Erzählen, und mit manch anderem, nicht mehr so weit her war bei den Eheleuten Werchow. Er machte ein paar Schritte auf die Sparkasse zu, in der er seine Frau wußte, änderte dann jedoch seine Laufrichtung. Er würde Dorle Perl die Nelken geben, nicht Ruth, aus Zeitgründen, wie er sich sagte, aber diese Begründung war so fadenscheinig, daß eine ihn erschreckende Wahrheit hindurchschimmerte: Er mochte Ruth nicht sehen, und schon gar nicht mochte er ihr Blumen schenken. Er hatte einfach keine Lust auf sie.
    Die Farbe der Nelkenblätter und die Farbe von Dorles Haar waren einander nicht unähnlich, wie Willy bemerkte, als er seiner Sekretärin die Blumen hinhielt.
    »Für mich?« rief Dorle eine Spur zu hoch, da mußte er unwillkürlich an eine andere Frau denken. Wenn er der nämlich eine Blume schenkte, konnte es geschehen, daß die Frau sie zwischen ihren Lippen ablegte, ihm mit ihren freien, ihren frei bleibenden Händen den Gürtel öffnete und die Blume gar nicht aus den Lippen nahm und ihn in sich dringen ließ und er bei jedem Stoß auf den Stengel biß und auf ihre Lippen und sie, tiefer ihn umhöhlend, zurückbiß auf Stengel und Lippen, und wieder, und weiter, stumm, bis der tierische Schrei, der sich in ihnen beiden spannte, endlich herausschnellte und das zerbissne, zerschlissne Ding, das sie geeint hatte, ihnen aus den saftnassen Mündern fiel.
    »Was Neues?« hörte Willy sich fragen.
    »Zeiller«, antwortete Dorle Perl. Und war das vielleicht eine Überraschung? Er hatte ja schon in der Schwimmhalle gewußt, Zeiller würde sich wegen des Einbruchs melden, und hatte am Morgen vorsorglich Erkundigungen eingezogen, welcher Titel da im Bahnhofslager eigentlich entwendet worden war. Die Sache, so

Weitere Kostenlose Bücher