Brüder und Schwestern
gekocht und diese eigentlich hatte austun wollen. An Essen, das begriff sie, war jetzt nicht zu denken.
Willy informierte über den Anruf Krümnicks, vergaß indes zu erzählen, oder hielt es für unbedeutend, wie überhaupt herausgekommen war, daß Britta den Text an die Wandzeitung gepinnt hatte. Sie fragte höchst verärgert nach und erfuhr von der bereitwilligen Auskunft der Achtklässlerin Eilitz. »Was für eine Ratte!« rief sie. »Was für eine elende, kleine, miese Ratte!«
»Vielleicht war es nur Dummheit«, warf Ruth ein, »vielleicht hat sie nicht gewußt, was sie anrichten würde.«
»So dumm kann man gar nicht sein«, widersprach Matti heftig. »Daß ein Mensch einen anderen anschwärzt und sich dabei vielleicht nichts groß denkt, heißt doch nicht, daß er keine Ahnung hat, was er tut. Er hat nur keine Ahnung, was ein Gewissen ist.«
»Genau«, sagte Britta, »dein dummes Mädchen ist in der Achten! Dabei weiß jeder schon in der Ersten, daß man einen anderen nicht verpfeift!«
»Schluß jetzt«, rief Willy ungeduldig. »Es geht nicht um dieses Mädchen, es geht um Britta und ihren drohenden Rausschmiß!«
Alle schwiegen. Britta zwängte ihre langen, vollen Haare durch einen Gummi, band sich einen Zopf. Ungehalten fragte Willy: »Also was jetzt? Was gedenkst du zu tun?«
Britta zuckte mit den Schultern.
»Gut, ich werde dir sagen, was zu tun ist. Morgen früh, wenn Appell ist, trittst du vor und entschuldigst dich in aller Form. Krümnick weiß Bescheid. Dadurch, und nur dadurch, kannst du deinen Rausschmiß abwenden.«
Britta verzog angewidert das Gesicht: »Ich soll mich was?«
»Du hast richtig gehört, du sollst dich entschuldigen.«
Matti sah seinen Vater mit einem durchdringenden Blick an: »Hast du das mit Krümnick ausgehandelt?«
Willy fühlte sich an Rudi erinnert. Der hatte ihn, wenn es hart auf hart ging, auch so angeschaut, mit einem Blick, vor dem es kein Entrinnen gab. »Nein … nicht direkt. Mit Altenhof. Ich war bei Altenhof.«
»Du warst bei diesem Altenhof?« fragte Matti bestürzt. »Bei demselben Altenhof, den du hier an diesem Tisch schon oft genug als Arschgeige, Scheißkerl und was weiß ich noch alles bezeichnet hast?«
Willy schwieg erzürnt. Sein Sohn redete ja wie ein Inquisitor mit ihm! Und hatte doch keine Ahnung, worauf man sich manchmal einlassen mußte. Gewiß, er war eigentlich noch ein grüner Junge, aber er redete schon wie Rudi. Er machte ihm angst und bange mit der Unbedingtheit, die in seiner romantischen Seele verborgen zu sein schien. Vielleicht war diese Unbedingtheit sogar der Kern seiner Seele? Dann würde er sich irgendwann von jedem abwenden, der eine bestimmte Grenze überschritten und sich zu weit von dem Ideal entfernt hatte, nach dem er, Matti, selber strebte. Dann würde er eines Tages sehr einsam sein.
»Du begreifst nicht, Matti, aber ist es denn so schwer zu begreifen? Manchmal muß man Kompromisse schließen. Was hätte ich denn deiner Meinung nach tun sollen? Nichts? Das kannst du nicht im Ernst verlangen, daß ich nichts tue!«
»Doch«, rief auf einmal Britta. Sie war voller Zorn. Sie versuchte, den Gummi wieder von den Haaren zu ziehen, zerriß ihn dabei, feuerte ihn auf die tonfarbenen Kacheln vor dem Herd, auf die früher jeden Freitag die Zinkwanne zum festlichen Bad der einzelnen Familienmitglieder gestellt worden war. »Um wen geht es hier eigentlich, um euch oder um mich? Werde ich vielleicht auch mal gefragt? Eure ganze Diskussion hättet ihr euch sparen können, wenn ihr mich einmal gefragt hättet. Weil ich mich nämlich nicht entschuldige! Nein, ich werde mich nicht entschuldigen, nicht beim Appell und nicht anderswo!«
»Zum Donnerwetter nochmal«, rief Willy, »sei doch nicht so verbohrt!«
»Wofür soll ich mich entschuldigen? Wofür? Wenn du mir das bitte mal erklären könntest!«
»Dafür, daß du übers Ziel hinausgeschossen bist. Bestimmte Dinge bespricht man intern. Man hängt das nicht an die Wandzeitung, nicht an die große Glocke. Da nützt es niemandem. Da ist es nur eine Provokation.«
»O Gott«, rief Britta.
»Das ist deine Meinung? Wirklich deine Meinung?« fragte Matti.
»Ob das wirklich meine Meinung ist, spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist einzig und allein die Entschuldigung. Bring sie hinter dich, Britta, in deinem eigenen Interesse.«
»Das kann ich nicht!«
»Doch, du kannst es. Und wenn ich bisher nie etwas von dir gefordert habe, das fordere ich! Du zwingst mich ja, es zu
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