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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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so etwas empfinden ausgerechnet in der Stunde, in der Jonas’ Rauswurf besiegelt worden war? Das Wohlgefühl der Verweigerung also war’s gewesen, das erquickende Pochen des Eigensinns im Blut.
    Matti versuchte, Willy das alles zu erklären, ihn teilhaben zu lassen an seinen geheimsten Gedanken, doch je länger er redete, um so starrer wurde dessen Miene. Endlich rief Willy aus: »Das fehlte mir noch! Das fehlte mir heute noch! Eine Gegenstimme, in so einer Situation …!«
    Plötzlich begriff Matti, daß sein Vater bis eben noch gar nichts Genaues über das Votum gewußt hatte. Wegen der sich überschlagenden Ereignisse der vergangenen drei Tage hatte er es völlig versäumt, ihn darüber zu informieren. Er wollte sich entschuldigen, aber Willy ließ ihn nicht zu Wort kommen: »Ich dachte, du seiest klüger als deine Schwester. Diese Gegenstimme, das kann ich dir jetzt schon prophezeien, wird noch einmal auf dich zurückfallen. Spätestens, wenn es um die Studienplätze geht. Man wird dich abblitzen lassen! Matti, Junge, wie unüberlegt. Und wieder nur wegen Jonas. Was habt ihr nur alle mit diesem … diesem Schaumschläger. Der macht doch nur Remmidemmi! Der wird nie etwas Vernünftiges zustande bringen, nie!«
    In Mattis Gesicht zuckte es. »Erstens habt ihr kein Recht, so über Jonas zu reden. Der ist in Ordnung. Und zweitens«, er schaute seltsamerweise erst zu Ruth, die in den letzten Minuten doch stumm geblieben war, und dann zu Willy, »werde ich sowieso nicht studieren.«
    Willy schnappte nach Luft. »Wie bitte? Was sagst du da?«
    »Ich werde nicht studieren«, wiederholte Matti.
    »Junge … wieso … ich verstehe nicht … das ist doch übereilt … du bist durcheinander … völlig durcheinander, die ganzen Wirren, schlaf erstmal drüber, das sagst du heute nur so, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus.«
    Matti schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin nicht durcheinander. Mit mir ist alles in Ordnung. Und es geschieht auch nichts übereilt. Mein Entschluß steht schon seit längerem fest. Ich werde nicht studieren, jedenfalls nicht jetzt.«
    »Was soll das heißen: nicht jetzt?«
    Matti sagte, er werde erklären, wie es zu dem Entschluß gekommen sei. Und er begann weit auszuholen, versetzte seine Zuhörer in eine längst vergangene Zeit, war bald bei Rudi, der Erik und ihn kurz vor seinem Tode zu sich gebeten und ihnen eröffnet habe, wenn er sich etwas von ihnen wünschen dürfe, dann wäre es, daß sie vor einem Studium bitteschön was Handfestes lernen mögen, was Beständiges, die Zeiten Überdauerndes, er jedenfalls habe in einem bestimmten, ihnen bekannten Moment seines Lebens eine solche Grundlage schätzen gelernt, und sie beide sollten nicht zuletzt deswegen darüber nachdenken, weil sie sich so ja auch ersparen würden, drei Jahre zum Barras zu müssen; »Erik«, setzte Matti fort, »hat den Hinweis mißachtet, aber ich will nicht über meinen Bruder reden, seine Sache«, und schließlich sei es auch nicht mehr als ein Wunsch Rudis gewesen, nichts Bindendes, er selber aber, er habe darin Logik und Weisheit entdeckt, und sollte er noch einen letzten Zweifel verspürt haben an seiner Entscheidung, so sei der endgültig ausgeräumt worden am heutigen Tage. All die Zwänge, die ja wohl zu erwarten wären bei welchem Studium auch immer, denen wolle und werde er sich nicht aussetzen, um nichts in der Welt.
    Als Matti seine Erklärung beendet hatte, ergriff Willy seinen Löffel und ließ ihn in die erkaltete Brühe fallen, fast warf er ihn dort hinein. Ruth indes hing auf einmal, mit Tränen in den Augen, an Matti und liebkoste ihn, bedeckte seine Wange und seinen Hals mit nassen Küssen und schluchzte und schniefte, und keiner der beiden Männer, und vielleicht noch nicht einmal sie selber, wußte, ob das jetzt Ausdruck eines großen Glückes oder einer unendlichen Traurigkeit war.
    Willy unterbrach sie, indem er Matti mit erkennbarer Enttäuschung und sogar einem Schuß Rabiatheit fragte, was denn »das Handfeste« sei – oder wisse er das etwa noch gar nicht?
    »Ich werde Schlepper fahren.«
    »Das ist nicht dein Ernst! Du willst doch nicht dein Leben auf der Autobahn verbringen!«
    Matti sah in das verkniffene Gesicht seines Vaters und mußte plötzlich lachen: »Auf dem Wasser, auf dem Wasser! Kein LKW! Ein Schleppkahn! Das liegt doch auf der Hand. Das mußte doch so kommen. Warum bin ich denn hier aufgewachsen? Da unten liegt die Schorba. Die fließt in die Saale, und die fließt

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