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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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fordern!«
    Plötzlich sprang Britta auf und stürmte aus der Küche. Ruth begann lautlos zu weinen. Willy brüllte: »Du bleibst hier!« Aber Britta war nicht aufzuhalten, sie lief die Treppe hoch in ihr Zimmer, verschloß es und reagierte nicht, als im weiteren Verlauf des Abends Ruth und Willy sie mehrmals inständig baten, die Tür zu öffnen.
    Unten die Verbliebenen brüteten eine Weile stumm vor sich hin. Dann tat Ruth, ebenso stumm, die Brühe aus. Und stumm löffelte man. Nur ein leises Schlürfen war ab und an zu hören, von Willy, der wie immer ein wenig Mühe hatte, den großen Löffel auch weit genug in seinen Mund hineinzuschieben. Mit einemmal legte Matti, obwohl seine Terrine noch halb voll war, den Löffel beiseite, wobei er Willy anschaute. »Laß uns weiterreden«, bat er, »einfach unsere Diskussion fortsetzen. So wenig ist bisher ausgesprochen worden. Und so viel Seltsames wurde gesagt.«
    »Seltsames …«, brummte Willy, weiter seine Brühe essend.
    »Seltsames. Eine Sache intern besprechen, sonst sei es eine Provokation, das klingt … entschuldige, aber das klingt, als wäre es aus dem ND vorgelesen.«
    »Wie ein Richter«, begehrte Willy auf. »Du nimmst dir heraus, wie ein Richter mit mir zu reden.«
    »Ich habe mich doch schon vorab entschuldigt. Wie soll ich es denn anders ausdrücken? Ich habe einfach ein schlechtes Gefühl. Das ist doch nicht deine Sprache. Du hast doch bisher nicht so geredet. Der Mensch soll sich nicht verbiegen …«
    Willy legte jetzt ebenfalls seinen Löffel beiseite, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Soll er nicht. Aber für eine gute Sache? Vielleicht kann – und muß – er da seine Prinzipien mal ein wenig lockern. Und Britta ihre Zukunftsaussichten zu erhalten, das ist ja wohl eine gute Sache, daran dürfte ja wohl kein Zweifel bestehen.«
    Matti wiegte den Kopf: »Ich frage mich, was das für eine Zukunft sein soll. Kann man überhaupt glücklich werden darin? Eine Verheißung, für die man sich krummlegen muß … nein, an so eine Verheißung glaube ich nicht. Ich denke sogar, man muß sich immer wieder krummlegen, und am Ende ist man todunglücklich. Wer sagt denn, daß es nur das eine Mal ist, wer sagt es denn?«
    »Zugegeben, es kann öfter geschehen. Du mußt natürlich erst in eine Position gelangen, in der du Einfluß nehmen und Entscheidungen fällen kannst. Das mag durchaus eine Weile dauern. Aber sieh mich an, sieh mich an: Ich trage Verantwortung für tausend Mann. Ich kann jetzt etwas bewirken. Ich kann in meinem Bereich das Richtige tun.«
    Matti, der während dieser Rede gereizt mit dem Finger auf den Tisch getrommelt hatte, schob nun seine Unterarme mit zu Fäusten geballten Händen an beiden Seiten der Terrine nach vorn und reckte angriffslustig den Kopf. »Und du bist dabei glücklich? Du willst glücklich sein? Bewirken, du machst doch sonst nicht den Eindruck, als wärst du glücklich mit deinem Bewirken.«
    »Glücklich, Matti, wann ist der Mensch schonmal glücklich.«
    »Das ist doch kein Glück, wenn man, so wie du, immer hin- und herüberlegen muß, ob es jetzt wohl recht ist, was zu sagen, oder nicht. Weißt du, was ich glaube? Daß jeder anständige Mensch in diesem Lande, der auf eine Position gelangt ist, wo er meint, Einfluß zu haben, schon irgendwie … zerfetzt ist. Sonst wäre er da nämlich nicht hingekommen. Und in der Position zerfetzt es ihn immer mehr. Ich sehe das doch. Sogar hier zu Hause fängst du jetzt schon mit dem Taktieren an. Es muß sich aber alles wie von selbst ergeben, nur dann ist es richtig. Keine Hintergedanken! Kein jämmerliches Taktieren! Dann lieber sich sperren, lieber ganz stur sein, darin liegt wenigstens Genugtuung!«
    Das Letzte war Matti einfach so herausgerutscht. Und erst einen Moment später dachte er darüber nach, was er gerade gesagt hatte, und ihm fiel seine Gegenstimme bei dem Richtfest in der Schule ein; die war unbedingt notwendig gewesen, das war das eine, aber das andere war ja tatsächlich, daß aus dem Kelch der Verweigerung eine ungekannte Befriedigung geflossen war, ein erstaunliches Glück. Und diese Befriedigung, so gestand er sich jetzt ein, hatte ganz und gar nichts mit der eigentlichen Angelegenheit zu tun gehabt. Vor zwei Tagen hatte es ihn noch irritiert, wie er das Klassenzimmer verlassen hatte: nicht nur niedergeschlagen, sondern auch mit einem Hochgefühl. Es erschien ihm falsch, fast schändlich, und im stillen schalt er sich dafür. Wie konnte er denn

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