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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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in die Elbe. Eine ganze Flotte von Rindenbooten ist da schon runtergemacht. Und der kleine Matti, der folgt jetzt einfach dem Wasser und den Booten, die er geschnitzt hat, das ist ja wohl logisch …« Er lachte immer noch, auf eine Art jetzt, als nehme er sich selber auf die Schippe, als amüsiere er sich köstlich über die Begründung, die ihm da eingefallen war, doch es gelang ihm nicht, völlig darüber hinwegzutäuschen, daß in all dem Scherzhaften ein wahrer Kern lag, im Gegenteil, je launiger und kindhafter er tat, um so mehr ahnten Willy und Ruth, wie ernst es ihm in Wirklichkeit war.
    *
    Über dem Morgen, an dem Britta sich entschuldigen sollte, lagen dunkle, bauchige Wolken. Hier und da waren sie durchbrochen von lichterfüllten Löchern, hellen Röhren, durch die man an den felsig schroffen Wolkenseiten entlangblicken konnte; aber nicht lange, dann begannen einem die Augen, punktiert vom Gold, das zwischen den schwarzen Wänden gleißte, schon weh zu tun. Und das alles wirkte im ersten Moment, als sei es wildbewegt, als werde es gleich in der nächsten Sekunde vom Wind durcheinandergewirbelt und zu neuen Felsen und Röhren formiert, aber Irrtum, wer es aushielt, ein wenig länger zu schauen, der erkannte zu seinem Erstaunen, das Bild da oben hing wie justiert, eine starre, an den Himmel genagelte Leinwand.
    Britta ging langsam in Richtung Schule. Sie hatte die halbe Nacht wachgelegen und das Problem hin- und hergewendet. Sollte sie der Forderung ihres Vaters Folge leisten und beim Appell demütig vor die versammelte Mannschaft treten? Welche Schmach wäre das! Aber ihr Vater hatte doch recht. Galt es jetzt nicht, die Schmach auf sich zu nehmen? Wollte sie sich denn alles verbauen? Sie war zu keiner Lösung gelangt. Sie hatte einfach ihre Umhängetasche mit den Heftern und Stiften geschnappt und ihre Unschlüssigkeit dazu und war losgegangen. Sie schritt jetzt die leicht ansteigende Schöpfgasse zum Marktplatz hinauf. Den mußte sie noch queren, von dort die Gautschstraße entlang, dann links in die Markus-Roser-Straße, an deren Ende die Schule trutzte, Mauern, die nur darauf warteten, daß sie ihre Abbitte da hineinritzte.
    Sie dachte aber in dieser Minute schon nicht mehr darüber nach, ob sie das tun sollte, sie fühlte sich nicht länger angespannt, sie spürte, nun, da sie der Schule näher und näher kam, würde sie schon das Richtige tun – sie? Etwas in ihr. »Ich war ganz leer, aber ich habe der Leere vertraut. Komisch, nicht wahr?« So drückte sie sich später Catherine gegenüber aus.
    Sie ließ die Markus-Roser-Straße, und damit die Schule und alles, was sie bedrückte, links liegen und ging die Gautschstraße weiter, die am Marktplatz ihren höchsten Punkt erreicht hatte und nun abfiel, weshalb Britta, ohne es darauf anzulegen, schneller wurde. Ein paar Schüler kamen ihr entgegen und musterten sie erstaunt ob der falschen Richtung, in der sie sich bewegte. Sie lief am Gemüseladen vorbei, entdeckte hinter der Scheibe eine Kiepe mit Kohl und eine mit Winteräpfeln sowie eine kleine Pyramide aus Gläsern, in denen Saure Gurken sich wie fette Maden aneinanderschmiegten. Sie passierte das Woll- und Garn-Geschäft, in dessen Auslage einzig eine alte Singer-Nähmaschine mit abgeblätterter schwarzer Farbe stand. Kurz, im schnellen Vorbeilaufen, im Straßehinabstürzen, sah sie in dem Gerät einen Zapfhahn. Sie schüttelte lächelnd den Kopf wegen dieser Verwechslung – wegen ihres Willens zur Verwechslung. Bald wurden die Läden spärlicher. Sie hatte das Stadtzentrum schon verlassen, glitt, dies war noch immer die Gautschstraße, an grauen, rissigen, sich vornüberneigenden Hauswänden, an morschen Türen, an für Blicke undurchdringlichen Gardinen vorbei und bald an der einen oder anderen Brache, an bröckelnden Ziegelsteinmauern, die von Kindern mit Kreide vollgemalt worden waren, hier, Das-ist-das-Haus-vom-Ni-ko-laus, zerfranste Gerberstedt schon, und plötzlich endete der bucklige Asphalt, aus dem da und dort ein vom Eis des letzten Winters freigeätztes Kopfsteinpflasterauge lugte, und ein splittiger, mit Pfützen übersäter Weg tat sich auf, ein Band, das nur aus Trichtern und Rändern zu bestehen schien. Auf denen balancierte sie, die Augen nach unten gerichtet, auf den schmalen Rändern der breiten Trichter. Plötzlich hob, nicht in unmittelbarer Nähe, aber auch nicht in weiter Ferne, ein dumpfes Brüllen an. Es klang, als ob ein wütender Mann in ein Mikrofon grollte. Aber war das

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