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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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berichten.
    Willy stand, durch den Tisch getrennt, ihm gegenüber, unmittelbar vor dem hohen Küchenschrank, hinter dessen Sprossenfenstern rustikale, an den Rändern schon nicht mehr einwandfreie Wein- und Saftkelche aufgereiht waren. Willy verzog unangenehm berührt das Gesicht, denn er wußte, wenn sein Ältester und Besonnenster, derjenige, mit dem es bisher nie Ärger gegeben hatte, so zu reden anhob, dann mußte etwas Gravierendes geschehen sein.
    »Man hat … man hat an der Uni von mir verlangt, daß ich mich von meiner Schwester distanziere, und ich habe es getan!« Erik, der langsam und leise, fast unverständlich zu sprechen begonnen hatte, war gegen Ende des Satzes immer schneller und lauter geworden, wie um alles endlich hinter sich zu bringen.
    Britta senkte den Blick. Willy drückte den Oberkörper nach hinten und stieß mit seinen kräftigen Schultern an den Schrank, brachte die Gläser zum Klirren. Matti rief entgeistert: »Was haben die verlangt? Was hast du getan?« Ruth am Herd hielt vielleicht eine Sekunde inne und machte sich dann sofort wieder am Fleisch zu schaffen, mit viel zu hastigen Bewegungen.
    Nun, da das Wesentliche heraus war, schob Erik die Einzelheiten nach, wobei er zunehmend widerwillig wirkte – die anderen konnten nur nicht erkennen, ob ihn der Antrieb zum Sich-Erklären verlassen hatte oder ob jener Widerwille ihm selbst galt.
    Als er bei dem Dokument angelangt war, das er unterzeichnet hatte, unterbrach Matti ihn. »Was steht da genau drin, die Wortwahl, die Wortwahl«, rief der Jüngere in bedrohlichem Ton.
    »Hab ich doch eben gesagt«, erwiderte Erik, wohl wissend, daß er es so genau nicht gesagt hatte.
    »Zeig mal den Schrieb«, forderte Matti.
    Erst in diesem Moment wurde Erik klar, er hatte ja von Rothe gar keinen Abzug bekommen. Erstaunt sagte er: »Ich habe nichts! Ich habe ihn nicht!«
    »Das kann ja wohl nicht wahr sein«, rief Matti, »du unterschreibst so ein Papier und forderst noch nichtmal einen Abzug?«
    »Ist gut, Matti«, fuhr Willy dazwischen, »von solchem Zeug gibt’s nie Durchschläge, es ist sinnlos, einen zu fordern. Überleg doch mal: Worum geht es bei der Angelegenheit? Nur darum, daß sie bei der Uni sich abzusichern versuchen. Sie wollen was vorweisen können für den Fall, ein unsicherer Kantonist springt ihnen ab. Wenn jemand Rechenschaft von ihnen fordert, können sie nämlich hübsch ihr Papier hochzeigen und sagen: Seht her, wir haben getan, was wir konnten, hier ist sein Schwur, was wollt ihr noch mehr?«
    »Unsicherer Kantonist …«, wiederholte Matti. Er hielt Erik für das genaue Gegenteil, das war unschwer herauszuhören.
    Plötzlich stieß Willy sich vom Schrank ab, so daß einige Gläser umfielen. Sie zerbrachen nicht, rollten aber mit einem Geräusch, das alle Anwesenden frösteln machte, noch ein paar Sekunden hin und her. »Es reicht jetzt«, wies er Matti zurecht, »dein Ton deinem Bruder gegenüber ist anmaßend und beleidigend. Warst du in Eriks Situation? Warst du? Du warst es nicht! Noch einmal, ich akzeptiere nicht diesen Ton!«
    »Beleidigend? Das mag sein«, widersprach Matti, »aber wer weiß, wie beleidigend erst das ist, was er unterschrieben hat! Wer weiß das schon! Nur er selber weiß es, und er sagt’s uns nicht!«
    »Wie vor ein paar Tagen«, rief nun Britta, »merkt ihr nicht, daß die ganze Diskussion genauso wie vor ein paar Tagen abläuft? Ihr redet alle über meinen Kopf hinweg! Wieso fragt mich keiner, was ich davon halte? Gar nichts halte ich nämlich von eurer ganzen Aufregung! Für die Katz ist die, sinnlos, sinnlos! Erik hat mir doch nichts getan. Und dir, Matti, erst recht nicht. Genaugenommen hätte er uns überhaupt nichts sagen müssen, er hätte alles auch für sich behalten können, euer Streit beruht nur darauf, daß er so eine ehrliche Haut ist.«
    »Nein«, rief Matti »er beruht auf dieser verdammten Unterschrift, machen wir uns nichts vor!« Herausfordernd schaute er zu Erik.
    Und war es dieser drängende Blick, oder war es die eben wieder zutage getretene Unbedarftheit und Reinheit seiner Schwester, die seine Scham nur noch verstärkte – jedenfalls stieß Erik nun ohne jedes Vorwort, mit zur Grimasse verzogenem Gesicht, auf denkbar abgehackte Weise hervor: »Hiermit distanziere ich, Erik Werchow, mich entschieden von meiner Schwester Britta, die versucht hat, das staatsfeindliche Gedicht Als wir ans Ufer kamen zu verbreiten. Ihre Tat verurteile ich zutiefst.« Er hatte sich wortwörtlich

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