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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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von Macht über sich selbst. Jawohl, das großartige, vielbeklatschte Verständnis, im Grunde ist es nichts anderes als die Vorstufe zum Opportunismus …« Willy holte Atem und bekräftigte seine Worte mit einem »genau so verhält sich’s, genau so«.
    »Das ist mir alles zu weit hergeholt«, sagte Matti kopfschüttelnd. »Es klingt ja so, als wäre es unausweichlich gewesen, daß mein Bruder diese Unterschrift geleistet hat. Weißt du, was ich glaube? Daß du die Schuld für sein Verhalten auf dich nehmen willst, weil du dann weniger enttäuscht von ihm bist. Du willst nicht enttäuscht sein von deinem Sohn, also suchst du so lange, bis du was gefunden hast, das ihn entlastet.«
    »Es ist aber wahr, was ich sage, und es ist logisch, siehst du das denn nicht?«
    »Meinetwegen, laß es wahr sein. Aber ich bleibe dabei: Von einem bestimmten Punkt an ist jeder für sich selber verantwortlich!«
    »Herrgottnochmal, Matti, die Voraussetzungen sind für jeden anders, der eine hat es leichter, die Verantwortung wahrzunehmen, der andere hat es schwerer, versteh das doch … du willst es nicht verstehen.«
    Plötzlich brauste Matti auf: »Er hat eine Grenze überschritten, Punkt, aus, basta!«
    »Wir drehen uns im Kreis«, sagte Willy resignierend, »also beenden wir die Diskussion. Ich möchte dich nur noch um eines bitten, Matti. Du sollst jetzt deinen Bruder nicht ablehnen und nicht verstoßen, denn das ist die Sache wirklich nicht wert.«
    Matti ließ einen kurzen, krächzenden Laut ertönen, der Zustimmung genausogut wie Widerspruch bedeuten konnte.
    »Versprichst du es mir?«
    »Das kann ich nicht. Ich würde gern, aber ich kann einfach nicht!«
    »Ich hab’s befürchtet«, murmelte Willy da, »so bist du, nichts zu machen, ich hab’s gewußt …«
    Er legte Matti den Arm um die Schulter und bedeutete ihm mit sanftem Druck, es sei Zeit, zurückzugehen. Längst ließ der Mond von weit oben die schwarzen Astlanzen, auf denen er ein paar Minuten zuvor noch gesteckt hatte, silbrig glänzen. Willy spürte genau, der Zusammenhalt der Geschwister, der allen in der Familie immer wie eine Selbstverständlichkeit erschienen war und über den niemand von ihnen je nachgedacht hatte, war auf einmal dahin. Würde er sich wiederherstellen lassen, irgendwann? Ach, irgendwann … er sehnte sich schon nach früher zurück, in die leichthin miteinander verbrachte Zeit, er schwieg beharrlich, während sie am Fluß entlang nach Hause gingen, und Matti schwieg auch.
    Zu ihrer Überraschung hatten die anderen drei mit dem Essen gewartet. Man kaute dann intensiver als sonst, sprach zwar auch das eine oder andere Wort, doch zerfiel ein jedes sofort und ohne Widerhall, da niemand verstand, daran anzuknüpfen und eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

Zirkus, Zirkus
    Meide die großen Städte! Alles, was über 20 000 Einwohner hat, ist eine große Stadt! Meide sie vor allem in den Ferien! In den Ferien reite da ein, wo die Menschen urlauben!
    Der alte Devantier hatte diese lebensnotwendigen Maximen seit Jahrzehnten verinnerlicht, und so gastierte er im Sommer, der jenem Herbst folgte, wieder einmal auf Rügen. »Gespensterfahrt« nannte er das, »Herrschaften, wir gehn auf Gespensterfahrt«, denn seiner Meinung nach sah die Insel in den Atlanten wie ein vom Festland aufflatterndes Gespenst aus. Den Juli hatte er auf dem Rumpf dieses Wesens verbracht, heute nun, am ersten Augusttag, kletterte er rauf auf den Kopf, Glowe hieß der Ort, in dem er Station machen wollte. Von hier aus waren es nur noch ein paar Kilometer bis nach Kap Arkona, wo die Republik begann – wo sie endete, denn eine Republik, die keiner verlassen darf, hat wohl leider nur Enden, auch im Norden, dieser Himmelsrichtung voller Klarheit und Reinheit, die vom menschlichen Hirn normalerweise gleichgesetzt wird mit oben, mit Anfang, mit dem Beginn von etwas.
    Was war das aber für ein kalter und regnerischer Sommer! Dauernd pladderte es. Schwer hingen die Pullover an den Leibern der Menschen, naß klebte ihnen der Lehm an den aufgeweichten Schuhen. Und doch muß Schlamm nicht gleichbedeutend mit Schlamassel sein, nicht für jeden: Richard Devantier sprang frohgemut vom Bock seines blauen W 50, mit dem er die Kolonne der Zirkuswagen angeführt hatte, registrierte zufrieden das Schmatzen unter seinen Sohlen und schaute in den Himmel, der in diesem Moment beliebte, ihm mit dünnen Tropfenfäden das Gesicht zu kitzeln. In Gedanken ließ er die kleine Werchow schon alle Kisten mit

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